Hm, Sebastian, das glaube ich weniger, Du siehst das, denke ich, zu rational ;-): Der Sozial- und der Spielfaktor kommen dabei zu kurz. Die meisten Leute kaufen doch ein "Handy", weil
a) Nokia draufsteht und "alle" ein Nokia haben, das also irgendwie "cool" sein muss, sonst hätte es ja nicht "jeder". Dabei ist schon fast egal, welches, hauptsache Nokia. Ich habe schon Leute erlebt, die sich bei mir für ihr (Nicht-Nokia-)Mobiltelefon regelrecht entschuldigt haben, und ich hatte dabei den Eindruck, dass, wenn ich ein falsches Wort gesagt hätte, sie sich völlig asozial vorgekommen wären. Unfassbar, nicht? Aber weiter: Sie suchen sich dann das aus, das
b) für das Geld, was sie gerade noch auszugeben bereit sind (entweder gar nichts, dann Vollsubvention, ansonsten Aufpreis) die meisten technischen "Spielereien" mitbringt, die gerade "hip" sind, denn der Spiel- und "Meiner ist länger als Deiner"-Faktor ist nicht zu unterschätzen, selbst wenn man die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nie nutzt. Wichtig sind zur Zeit z.B. polyphone Klingeltöne und eingebaute (!) Kameras sowie überlange SMS. An den Rest traut sich, schon wegen der Kosten, nur ein kleinerer Teil ran.
Nokia ist jedoch selten (nicht nie) durch besonderes Design aufgefallen, im Gegenteil, die meisten Modelle sehen doch alle irgendwie gleich, etwas altbacken und langweilig aus. Dafür erreichen sie die Masse, die eben genau das möchte: ein irgendwie vergleichbares Gerät zu haben wie die anderen, mit denen sie dann "konkurenzfähig" sind. Lediglich ein paar Geräte am oberen Ende der Skala fallen deutlich aus dem Einerlei heraus - die hat aber auch nicht jeder. Auch die neuen Samsungs und Sony-Ericssons sind, was das Design betrifft, schon irgendwie mal dagewesen und daher vertraut, etwa durch Motorolas Klappgeräte. Zudem werden sie massentauglich präsentiert, der Konsument kann oder möchte sich mit der Darstellung in der Werbung identifizieren, kann einen Bezug dazu finden.
Dagegen nun Siemens: Die Fernsehwerbung für das SL55 beispielsweise ist schon was die verwendete Musik betrifft völlig abgehoben und elitär und die ganze Aufmachung wirkt, als ob sie sich nur an die sehr kleine Zielgruppe richtet, die genussvoll mit Porsche und Mercedes SLK zu den Salzburger Festspielen fährt, aber eben nicht an die Masse, die weniger Mut hat, selbstbewusste Entscheidungen zu treffen, sondern sich vor allem am eigenen Umfeld orientiert. Siemens-Geräte wirken dadurch auf eine Menge Leute nicht etwa "cool", sondern im negativen Sinne abseitig, höchstens etwas snobistisch. An letzterem könnte man zwar ansetzen, offenbar möchte Siemens auch gerade darauf hinaus, um sich im Bewußtsein des Verbrauchers als wertvoll und überlegen zu verankern. Das müsste jedoch auch massentauglich präsentiert werden. Wird es aber nicht. Die Masse kann und möchte nicht in irgendwelchen abgehobenen künstlerischen Designfantastereien herumträumen. Wer täglich malochen geht und sich mit den Realitäten des Alltags herumschlägt, kann damit oft wenig anfangen, findet darin keinen Bezug zu sich selbst, schüttelt darüber nur den Kopf und wendet sich ihm näher liegenden Dingen zu. Frei nach Maslow (Motivation and Personality): Sicherung der Grundbedürfnisse, Nützlichkeit, soziale Bedürfnisse, Prestigebedürfnisse, und dann kommt irgendwann vielleicht auch, sofern man es sich leisten kann, die Erforschung und Auskostung der intellektuellen Existenz. O-Ton z.B. eines Nachbarn über die Siemens-Werbung: "Die haben doch nen Schuß in der Socke!" Ich finde, das sagt bereits alles.
Viele moderne Geräte haben heute ein ausgesprochen gutes und ansprechendes Design. Design ist aber nur ein Faktor von vielen, und oft sogar - sofern es nicht die Ergonomie berifft - von geringerer Bedeutung als angenommen, denn die Menge hält meist eh das für schön und wertvoll, was man ihr als solches einredet. Wer hat z.B. noch nie beobachtet, wie bestimmte, objektiv betrachtet eher mittelmäßig ansprechende Schauspielerinnen per PR gepusht wurden und plötzlich vielen tatsächlich als schönste und begehrenswerteste Frau galten? Wenn man es den Leuten nur genügend einredet, glauben sie (fast) alles und denken sogar noch, es wäre ihre eigene Idee. Man muss sie aber auf einem Kanal erreichen, auf dem sie auch zuhören und sich auch selbst angesprochen fühlen. Nokia, Samsung usw. tun das. Siemens dagegen setzt sich m.E. sogar noch weiter ab. Das spricht zwar auch viele an, aber eben nicht die Masse, die nötig wäre, um einen viel größeren Marktanteil zu gewinnen. Siemens hat m.E. Glück, dass bim S55 nicht solche Fehler gemacht wurden, die Kamera in Tests so gut bewertet wurde und es sich deshalb - trotz einiger Unzulänglichkeiten, in denen Siemens hinter der Konkurrenz herhinkt - zum Renner entwickeln konnte. Die Werbung und das Image waren zwar auch eher exklusiv, aber eben nicht so völlig abgehoben und bezugslos.
Was speziell die Xelibri betrifft, hat Siemens ja nun auch zugegeben, das Modegeschäft nicht verstanden zu haben. Es reicht eben nicht, in einem begrenzten Umfeld ein ausgefallenes Design zu bieten, sondern es müssen andere Faktoren her, wie technische Möglichkeiten und soziale Konkurrenzfähigkeit im eigenen Umfeld.
Wenn alles andere stimmt, ist Design ein wichtiges Verkaufsargument. Aber wie oben schon IMO richtig erwähnt: Was will man mit einem Ding, dem jedes andere moderne Telefon, noch dazu zu einem weit günstigeren Preis, haushoch überlegen ist, wenn es nicht wnigstens einen bestimmten, überragenden Nutzwert mitbringt (z.B. Größe)? Der Unterschied z.B. zu Swatch in der Uhrenindustrie ist, dass eine Swatch-Uhr im Grunde alles kann, was man von einer Uhr erwartet. Das ist zwar nicht viel, aber diese Erwartungen werden erfüllt, das schafft Platz für das designerische Spielfeld. Von Mobiltelefonen erwartet man heute dagegen wesentlich mehr, als die Xelibri bieten. Nicht einmal durch besonders edle Materialien oder besonders gediegene Verarbeitung oder ausgefallene Größe und damit besondere Nützlichkeit in bestimmten Situationen setzen sie sich ab. Wer soll so etwas wollen? Nach dieser Denkweise könnte man den Leuten auch gleich Dummies zu sündhaften Preisen andrehen. Mobiltelefone sind jedoch, anders als reiner Schmuck, auch Gebrauchsgegenstände, an die gewisse Erwartungen gestellt werden. Hier hat sich Siemens mit der darauf beschränkten Betonung und Bewertung von Design klar verschätzt.
Beste Grüße