Empfehlung Schnurloses Telefon

  • Telenerd, weil Dein Problem gelöst ist, ist mir hoffentlich niemand böse, wenn ich den Thread hier entführe:

    Das [Fanvil W611W mit Sipgate als VoIP/SIP-Anbieter] schläft nach wenigen Minuten ein und klingelt dann nicht mehr[.]

    Gleich nach Deinem Post kaufte ich mir ein Fanvil W611W und habe es jetzt seit sieben Wochen in Betrieb. Kann das Problem bestätigen. Die Ursache war bei mir

    a) Web-Oberfläche: Phone → Advanced → Timeout to Sleep

    bzw.

    b) Telefon-Oberfläche: Menü → Basis-Einstellungen → Bildschirm → Timeout to Sleep


    Nach 30 Sekunden reagiert das Telefon auf keinerlei eingehende Datenpakete mehr. Aber es wacht ab und zu wieder auf. Und legt sich dann wieder schlafen. Und so weiter. Auch werden die Schlaf-Abstände immer länger. Meine Lösung war, hier Null = Disabled einzutragen. Allerdings musste ich dann auch das „Backlight Inactive Level“ auf Null setzen, ansonsten ging der Bildschirm nie aus.


    Nachteil 1: Die Tastatur-Beleuchtung geht nicht mehr aus.

    Nachteil 2: Drücke ich die Auflege-Taste im Menü (versehentlich) zweimal, fällt das Telefon trotzdem in den Sleep. Die Tastatur ist aus, aber erreichbar ist es jetzt auch nicht mehr. Ich darf den Bildschirm ausschließlich über die „Backlight Time“ schlafen legen, nicht über die Auflegetaste.


    Laut Datenblatt soll es 200 Stunden bereit bleiben. Ohne Sleep und folglich mit Tastatur-Beleuchtung dauerhaft an schaffe ich nicht einmal 11 Stunden. Erstaunlich ist dagegen die Sprechzeit: Ich schaffe mehr als 7 Stunden lange HD-Telefonate.

    [Handover:] im Firmen-WLAN gab es das typische "Sticky Client" Problem

    Während Deinem Test erschien die Firmware 2.12.4.14, die laut Release-Notes den Schwellwert für den Empfangspegel (RSSI) für das WLAN-Roaming angepasst hat. Löst das Deine Beobachtung? Meinst Du ein WPA-Enterprise (EAP) basiertes WLAN?

    [Hardware:] Gute, wertige Verarbeitung aber etwas groß

    Die Hardware der Nokia Mobile Phones bzw. der Edelmarke Vertu war wohl Inspiration für deren Industrie-Designer. Das Gerät sieht wie ein Vertu Signature S aus, welches ebenfalls sehr langgestreckt war. Kleine Anekdote: Weil das Vertu Signature S weitgehend auf dem Nokia 6300i basierte – Nokia Series 40 mit WLAN –, konnte man damals auch damit VoIPen. Zurück zum Fanvil: Auch die Rückseite soll durch ihre Riffelung wohl wie Leder aussehen. Aber alles Plaste – außer dem hellen Teil auf der Rückseite, das ist tatsächlich ein Metall. Im Datenblatt steht die genauen Maße: 160 × 53 × 16 mm und 156 g. Im Gegensatz zum Original ist der Bildschirm nicht nur 2,0 Zoll sondern ganze 2,4 Zoll groß. Und das dürfte erklären, warum es insgesamt größer und schwerer als das Vorbild ist: Die Proportion des Originals sollte erhalten bleiben. Ehrlich? Respekt für den Mut und die Umsetzung. Viele wünschen sich beim Telefonieren mehr in der Hand zu haben, also schmal, lang, dick wie Telefon-Hörer früher bzw. DECT-Mobilteile noch heute sind.


    Positiv ist auch, dass der Lade-Anschluss nichts Eigenes, nicht mehr Micro-USB sondern bereits USB-C ist. Und er ist nicht nur zum Laden geeignet sondern erlaubt auch einen USB-Ethernet-Adapter. Das ist für die vollautomatische Erst-Einrichtung spannend, einmal Stecker rein, Gerät geht online, zieht sich alles und kann danach als WLAN-Telefon genutzt werden. So sparen sich Firmen-Administratoren bei jedem Gerät extra WLAN einzurichten (Stichwort: Provisioning). Respekt, so noch nie gesehen. Die beigelegte Ladeschale braucht wiederum kein USB-C sondern hat eigene Lade-Kontakte; so kann man das Telefon einfach in die Schale legen ohne es senkrecht stecken zu müssen. Respekt.


    Soviel zum Respekt. Bei TFT-Bildschirmen hatte man das Problem, dass diese nur bis zu einem bestimmten Blickwinkel farbstabil aussehen. Allerdings hat sich Fanvil hier für die allerschlimmste Sorte entschieden, die ich vor zehn Jahren schon beim Nokia 2710 Navigation Edition bzw. Nokia Asha 210 monierte. Es gibt quasi keinen Blickwinkel. Der Winkel ist einfach richtig eng, besonders wenn man ein Nokia 6303 classic daneben legt. Von einem OLED ganz zu schweigen. Und hier frage ich mich, warum Fanvil nicht den Mumm hatte, E-Papier zu verbauen. Ich brauche keine Farbe. Ich brauche beim Telefonieren keine Schnelligkeit. In die Einstellungen navigiert man alle Jubeljahre. Selbst in den Anruflisten und im Telefonbuch brauche ich keine unendliche Geschwindigkeit. Die Helligkeit kann in Stufen fest eingestellt werden – ein Helligkeitssensor fehlt. Während einem Telefonat erstrahlt der Bildschirm immer auf voller Helligkeit und ein Annäherungssensor schaltet dann den Bildschirm wieder komplett aus.


    Die Tastenbelegung ist so, als hätte es das Apple iPhone nie gegeben. Lautlos ist kein Schalter an der Seite sondern eine Kombi-Taste mit dem Stern. Die Tastensperre ist kein Schalter an der Seite sondern eine Kombi-Taste mit der Raute. Nicht einmal Nokia richtig kopiert sondern verdreht. Gerät ausschalten ist kein Schalter an der Seite sondern mit der Auflegetaste kombiniert – wenigstens kommt hier eine Abfrage, ob man wirklich abschalten möchte. Die seitlichen Lautstärke-Taste – schön das es die gibt – steuern ohne Gespräch die Lautstärke der Rufmelodie. Drückt man zu weit, klingelt es nicht mehr.


    Und auch die Soft-Key-Tasten unter dem Bildschirm; die erzeugen dann Fettflecken im Bildschirmrand. Die Taste 4 ist bei mir kaputt. Ich höre zwar, dass ich sie gedrückt hätte, aber ich muss richtig dolle drücken, damit sie auslöst.


    Rundrum eine Schlechte nicht bis ins Detail durchdachte Hardware-Kopie eines Nokia Mobile Phone aus dem Jahr 2007. Selbst das Start-Logo ist als komprimiertes JPEG abgelegt; man sieht richtig den Pixel-Hof rund um „Linkvil“. Und damit sind wir bei der Software:

  • [Software:] Webkonfig ähnlich wie bei Yealink

    Ja, Yealink war offenbar das Vorbild. Leider fehlt bei beiden ein Einrichtungsassistent oder gar vorgefertigte Anbieter-Profile. Man muss kreuz und quer im Menü einzelne Dinge anpassen. Vieles ist erstmal abgeschaltet, obwohl es ab Werk an sein könnte. Unten findet Ihr, was ich alles umgestellt habe (und sinnvoll für alle Telefonie-Anbieter finde). Wie bei Yealink erfolgte selbst die englische Übersetzung durch eine Maschine. Die deutsche Übersetzung ist noch schlimmer. Daher gehe ich von einer englischen Web- und Telefon-Oberfläche aus. Selbst dann erschließen sich viele Parameter und deren Optionen nur durch Herumprobieren. Als Ausgangspunkt nahm ich diese Anleitung (aus dem Frühling 2020), denn Fanvil hat die Software von seinen neusten Tisch-Telefonen übernommen (z.B. Fanvil X5U-V2).


    Selbst dann:

    • Web-Browser fehlt
      Unterwegs in fremden WLAN kämpft man mit Vorschaltseiten (Captive-Portals). Man müsste einen Reise-WLAN-Router (Modus: WISP) mitnehmen, über ein Notebook, Tablet oder Smartphone das WLAN freischalten und erst dann könnte ich das Fanvil nutzen.
    • Versteckte WLANs
      Will keiner, weil es nix bringt und das WLAN-Telefon alle gespeicherten WLANs laufend aktiv suchen müsste. Kostet Akku, verdirbt jeglichen Datenschutz und bringt immer noch nix. Im Fanvil kann man ein WLAN so gar nicht deklarieren, denn alle WLANs sind für Fanvil versteckt. Alle. Egal wie man ein WLAN anlegt, Fanvil macht daraus eine Hidden-SSID. Das erklärt vermutlich auch meine beobachte Bereitschaftszeit von keinen 11 Stunden.
    • WLAN-Kanäle 100+ fehlen
      Kanal 1-13 und Kanal 36-64 gehen. Aber WLANs auf den ganz hohen Kanälen werden weder gefunden noch verbunden. Völlig unbegreiflich, denn ein WLAN-Client muss sich um DFS nicht kümmern. Und die Kanäle 52-64 haben bereits DFS. So einen Software-Bug habe ich noch nie erlebt.
    • WPA3 fehlt; WPA3-Transition-Mode geht
      Durch WPA3 würde bei jeder Verbindung ein neuer Schlüssel ausgehandelt. Wenn jemand den WLAN-Verkehr mitgeschnitten hat und irgendwann an den WPA-Schlüssel kommt, kann er ohne WPA3 alles entschlüsseln, auch die Vergangenheit. Hat man ein WLAN, dass WPA3 erfordert/erzwingt, bekommt man keine Verbindung. WPA3 ist jetzt 5 Jahre alt und wird seit 30 Monaten von der Wi-Fi Alliance gefordert.
    • PMF werden nicht ausgehandelt; optional PMF geht
      Ohne PMF kann ein böser Nachbar Dich laufend aus Deinem WLAN kicken. Das Fanvil verbindet sich zwar mit WLAN, die PMF anbieten. Aber es nutzt selbst kein PMF. Hat man ein WLAN, dass PMF erfordert/erzwingt, bekommt man keine Verbindung. AVM bietet PMF in seinen FRITZ!Boxen schon seit Ende 2018.
    • Verschlüsselte Telefonie angreifbar
      Ist man in einem WLAN ohne Client-Isolation (schlecht gemachtes WLAN im Hotel) oder einem unverschlüsselten WLAN (einem öffentlichen WLAN-Hotspot), will man nicht, dass einfach so jeder das Telefonat belauschen kann. Fanvil bietet SIP-over-TLS mit SDES-sRTP. Ein solch verschlüsseltes Telefonat kann ein passiver Lauscher nicht mithören. Aber Fanvil sichert das TLS nicht sauber ab. Nicht nur dass TLS 1.3 fehlt und die TLS-Bibliothek uralt und schlecht konfiguriert ist (bietet sogar noch als TLS-Cipher-Suite RC4-MD5), auch die TLS-Zertifikate des Telefonie-Anbieters werden nicht geprüft (entweder das ganze Zertifikat nicht oder der Inhalt wie der Hostname). Folglich kann ein aktiver Angreifer die Verbindung aufbrechen und so doch wieder mitlauschen.
    • IPv6 erfordert „Stateful DHCPv6 Server“
      Das ist in Deutschland eher unüblich, weil wir Privatkunden keine statischen sondern dynamische IPv6-Präfixe bekommen. Kann man in einer FRITZ!Box umständlich einschalten. Wer sich dafür interessiert, einfach melden. Hat nämlich Nebenwirkungen bei Anbietern mit PPPoE bzw. Zwangstrennung wie Telekom Deutschland, 1&1, O₂ und einigen kleineren Glasfaser-Anbietern. Außerdem verlangt Fanvil, dass man zwei DNSv6-Server hat. Das kann man umgehen, indem man einmalig beide Felder im Fanvil manuell ausfüllt. Danach kann man wieder auf die automatische Beziehung zurück. Was für ein Software-Bug!
    • Opus-Codec benötigt zu viel Bandbreite
      Zwar liefert jener Audio-Codec HD-Telefonie. Aber abgehend schickt Fanvil nicht nur HD sondern UHD und das nicht mit variabler (VBR) sondern konstanter Bitrate (CBR). Auch eine „Voice Activation Detection“ (VAD) greift beim Opus-Codec nicht. Daher wird viel zu viel Datenvolumen erzeugt. Bis das behoben ist, entferne man jenen Audio-Codec und bleibe besser bei G.722.

    Bis auf den fehlenden Web-Browser – der wäre wirklich Arbeit – sind das einfachste Software- bzw. Konfigurationsfehler. Insgesamt habe ich 33 Fehler-Tickets bei Fanvil aufgemacht. Leider kann man als Endnutzer diese nicht selbst beheben und muss auf Fanvil warten. Auf der anderen Seite mag ich den Pragmatismus in Fernost: Weil das Fanvil W611W auch Bluetooth bietet, kann man nicht nur Bluetooth-Headsets damit koppeln sondern es sogar selbst als Bluetooth-Headset verwenden. Warum auch nicht?


    Insgesamt sehe ich keinerlei Vorteil gegenüber einem Nokia E52 aus dem Jahr 2009. Nur kann das sogar richtig IPv6 und bietet mit AMR-WB einen sparsamen Audio-Codec für HD-Voice. Und der Akku hält mehrere Tage! Ist man gemein (und hat daheim selbst einen Telefonie-Server mit einem TLS-Zertifikat ohne SHA-2), dann könnte man sogar bis zum Nokia E90 zurückgehen – das konnte das alles vor 15 Jahren!


    So und hier meine Änderungen:

  • über die Telefon-Oberfläche selbst (Passwort ab Werk ist „123“):

    Code
    Menu → Advanced → Network → Web Server Type: HTTPs

    Der Rest erfolgte über die Web-Oberfläche (Passwort ab Werk ist „admin“):

    Um den eigenen Telefonie-Anbieter hinzuzufügen muss man lediglich in „Line → SIP → Register → SIP Server 1“ gehen und dort:

    • (ausschließlich Web-Oberfläche) Transport Protocol, z.B. TLS
    • Server Address, z.B. secure.dus.net
    • Authentication Password
    • Authentication User
    • (Web-Oberfläche) Username bzw. (Telefon-Oberfläche) User-ID

    ausfüllen. Alles andere kann man normalerweise leer lassen. Bei vielen Telefonie-Anbieter ist sogar der „Username“ gleich dem „Authentication User“. Dann noch bei „Activate“ den Haken setzen. Und fertig … nicht ganz. Man muss in der Web-Oberfläche auf jeder Konfigurationsseite die näheste Taste „Apply“ drücken. Manchmal direkt darunter, manchmal einige Zeilen darunter und ganz selten ist es die Taste ganz unten am Bildschirmrand. Oh, Fanvil!

  • Noch ganz vergessen, über die Preissuch-Maschine Geizhals findet man Händler für das Fanvil W611W. Und weil das Fanvil W611W quasi ein Fanvil X5U ist, kann man sich bei Gequido auch die deutsche Anleitung für die FRITZ!Box klauen …

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