Der Fall Mollath

  • Zitat

    Original geschrieben von saintsimon
    In einer mehr oder weniger funktionierenden Demokratie sind vor allem die Wähler für frischen Wind zuständig. ...


    Das hilft in Sachen Justiz leider überhaupt nicht - denn Richter werden nicht gewählt, und schon gar nicht auf Zeit.


    Richter sind der einzige Stand, von dem es mir im Moment einfällt, der für berufliche Fehlleistungen in keiner Weise zur Verantwortung gezogen werden kann. Selbst grobe Fahrlässigkeit ist schon de jure straffrei. Davon träumt jeder Arzt ...


    Aber auch (bedingt) vorsätzliches Handeln bleibt de facto straffrei, wenn das Verfahren nicht im Hinblick auf seine nachrangige Bedeutung von einem Einzelrichter (endgültig und rechtskräftig) entschieden wird.


    Das Problem:
    Wird die Angelegenheit von einem Kollegialgericht entschieden (also drei Berufsrichter und/oder Schöffen - je nach Zusammensetzung) wird man im Hinblick auf das gesetzlich geschützte Beratungsgeheimnis (im Rahmen der dem Urteil vorausgehenden Beratung der Richter untereinander im geschlossenen Kreis) niemals herausfinden können, ob nicht einer der Richter eine rechtmäßige Entscheidung hätte fällen wollen - von den anderen aber nur überstimmt wurde.


    Weil aber jeder Richter des Kollegialgerichts solch ein "Guter" hätte sein können, ist der gesetzlich geforderte Nachweis der individuellen Schuld bei keinem Richter auch nur denkbar.


    Die sehr weitreichende richterliche Unabhängigkeit hatte schon bei Aufarbeitung des Faschismus in der Nachkriegszeit dafür gesorgt, dass Richter (gestützt durch die höchstrichterliche Rechtsprechung) unabhängig von ihrem Wirken im Faschismus unbehelligt bis zum Ruhestand im Amt blieben. Zynisch, aber Realität: Da Richter auch ihrem Gewissen unterworfen sind, hätten Richter mit der entsprechenden Gesinnung unter Anwendung seinerzeitigen Rechts gar nicht anders entscheiden können und dürfen. :rolleyes:


    Von der Veröffentlichung der Urteile zu diesem Thema wurde aus (damals) verständlichen Gründen weitgehend abgesehen.


    Warum ausgerechnet die Angelegenheit Mollath den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat, ist mir nicht ganz klar ... vielleicht passt sie als Lückenfüller gerade in die Berichterstattung zu Schwarzgeld und Steuerflucht.

  • Zitat

    Original geschrieben von bernbayer
    Gewaltenteilung und richterliche Unabhängikeit sind durch unsere Verfassung sicher gestellt.


    Unsere Verfassung verlangt das - sie ist eine Norm. Aber sie setzt diese Norm nicht unbedingt durch. Möglicherweise ist Dir schon einmal aufgefallen, welches Parteiengezerre der Ernennung von Richtern - und gar Präsidenten - am Bundesverfassungsgericht vorausgeht (in ähnlicher Weise kann man das in den USA beobachten - manche sagen, Reagan habe den grössten Einfluss durch seine Richterernennungen genommen, nicht durch seine präsidiale Politik). Vermutest Du ernsthaft, dass diese Richter hinterher unabhängi urteilen?

  • Zitat

    Original geschrieben von bernbayer
    Staatsanwälte haben eine andere Funktion, sie verurteilen niemand, sie sind Partei und vertreten als Ankläger die Interessen des Staates und sind der Gegenspieler zum Anwalt als Interessenvertreter des Beklagten.


    ???


    Die deutsche Staatsanwaltschaft sagt von sich selbst gerne, dass sie die objektivste Behörde der Welt sei. Das ist natürlich ein großer Quatsch, uns jeder StA, der das behauptet, will Dich entweder für dumm verkaufen oder ist ein Dummkopf. Tatsächlich verlangt unser Justizsystem diese Objektivität - und tatsächlich ist es gängige Praxis, dass sich die StAschaft als Partei verhält. Und diesen Widerspruch zwischen Norm und Praxis findest Du auch in der Richterschaft wieder - wenn Du gewillt bist hinzuschauen ...

  • Zitat

    Original geschrieben von Maarthok
    Es gab doch nicht nur eine Hauptverhandung :confused:


    Den Brichten in der SZ zufolge gab es die Anklage wegen Körperverletzung gegen Mollath und die Aussage gegen Aussage. Mollath wurde nie psychiatrich begutachtet, sondern der Gutachter entschied "nach Aktenlage".


    Aufgrund dieser sogenannten Einschätzung verbrachte Mollath 7 Jahre in der Psychiatrie.


    Mollath wurde nicht schuldig gesprochen, aber eingewiesen. Im Endeffekt ist dieses Urteil sogar perfider als ein Schuldspruch. Eine Körpervrletzung hätte vermutlich eine Bewährungsstrafe bedeutet.

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Das hilft in Sachen Justiz leider überhaupt nicht - denn Richter werden nicht gewählt, und schon gar nicht auf Zeit....


    Nein, das meinte ich nicht, sondern frischen Wind in den Ministerien, Gremien und Amtern, von welchen die Richter und Staatsanwälte ernannt und befördert werden. Folglich konnte bisher die Justiz dem Geschmack der CSU gemäß zusammengesetzt werden. Wechselnde Regierungen hätten für mehr Heterogenität in Corps gesorgt.

    LG: V30
    Samsung: Galaxy Tab S2 LTE, A5 (2017);
    Sony: Xperia X Compact;

  • Ich denke daß du dies überschätzt. Ich weiß z.B von einen Richter hier bei uns der SPD-Mitglied ist. Es ist also nicht so daß hier in Bayern nur CSU-Nahe Richter angestellt werden. Dies gilt umgekehrt natürlich genauso z.B. in Bremen wo schon seit über 50 Jahren die SPD regiert, da kommen auch nicht nur SPD-nahe Richter bei der Anstellung zum Zuge.

    Oberfranken ist meine Heimatliebe, die mir am Herzen liegt Bernhard

  • Was ich an dem ganzen Fall erstaunlich finde:


    Es kriechen im (Wind-)Schatten dieses Falls diverse Agitatoren aller Couleur aus ihren Winkeln und benutzen den Fall, um ihre Sicht auf den/die Verschwörung/Skandal/Justizirrtum garniert mit allerhand Vermutungen, Interpretationen und heftigst gefärbten Meinungen vor ihren jeweiligen Karren zu spannen. Und das alles natürlich basierend auf der medialen Berichterstattung - denn dabei war keiner von denen, die hier jetzt alles Mögliche für bare Münze verkaufen. Auf jeden Fall gibt der Fall ja "dankenswerterweise" genug her, um sich mit dem Lautsprecher dranzuhängen. :rolleyes: Natürlich kann der geneigte Theoretiker da nun alle möglichen Politverschwörungs- und Skandalisierungsmechanismen dranknüpfen und sich in bester Wildschweinmanier in der Soße suhlen, die man da zusammenrührt.


    Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich mir bei einer derart verworrenen und langen Geschichte dieses Falls schlicht und ergreifend kein klares Urteil bilden kann - und deswegen halte ich mich mit argumentativen Keulen jeglicher Art zurück. Jemand, der in dieser Sache mit unglaublichem Bekehrungsdrang auftritt, ist mir aus dem o.g. Gründen jedenfalls zumindest suspekt.


    Gustl Mollath wünsche ich, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt. Und das meine ich nicht im entferntesten zynisch oder angeschnitten, sondern genau so wie ich es schreibe.

    Hätte der Mensch nur halb so viel Vernunft wie Verstand, dann wäre alles viel einfacher in der Welt. Linus Pauling

  • Die Angst, die Parteizugehörigkeit könne einen positven Effekt auf die Ernennung/Beförderung von Richtern und Staatsanwälten haben, halte ich in allen Bundesländern für unbegründet. Beförderungen im engeren Sinne sind zudem in die Richterbesoldung (die auch für Staatsanwälte gilt) eingearbeitet und können weder beschleunigt noch verhindert werden.


    Lediglich herausragende Positionen werden nach politischen Gesichtspunkten vergeben. Wie zuvor bereits genannt, sind das etwa Richterstellen am BVerfG. In diesen Fällen ist das Prozedere aber ausdrücklich vorgesehen und der Öffentlichkeit bekannt.


    Das politische Bemühen um eine unfehlbare Justiz wird niemand ernsthaft bestreiten können ... die Frage, in wie weit der in der Bundesrepublik eingeschlagene Weg diesem politischen Willen gerecht wird, sollte m.E. unter Berücksichtigung anderer rechtsstaatlicher Modelle tatsächlich einmal ernsthaft überprüft werden. Aus meiner Sicht existieren Unzulänglichkeiten, die so möglicherweise beseitigt werden könnten.


    Unumschränkte Einzelfallgerechtigkeit wird es aber niemals geben können - allein die Finanzierbarkeit des erfordelichen Apparats schließt das aus.


    Fälle wie die Causa Mollath gehören m.E. zum juristischen Alltag und die Beteuerungen von Politik und Justiz, diese seien absolute Ausnahmen, dürften nur der Beschwichtigung der Öffentlichkeit dienen - weil letzteres bisher stets gelungen ist, wird dieser Weg wohl weiter beschritten werden.


    Wenn Ihr den Öffentlich-rechtlichen Sendanstalten ein wenig mehr Beachtung schenken würdet, würden Euch etliche Mollaths begegnen - etwa in Sendereihen wie "Menschen hautnah", "Tag 7" und und und ...


    Ein restliches frohes Pfingstfest aus Wedau


    Frankie

  • Zitat

    Original geschrieben von Sebastian
    Es kriechen im (Wind-)Schatten dieses Falls diverse Agitatoren aller Couleur aus ihren Winkeln (...) gibt der Fall ja "dankenswerterweise" genug her, um sich mit dem Lautsprecher dranzuhängen. :rolleyes:


    Ich empfinde das nicht so. Es ist möglich, daß dies ein Justizirrtum ist. Darauf darf man auch mit dem Megafon hinweisen. ;)


    Lies einfach mal die vielen Artikel der Süddeutschen. Sie sind unter den aktuellen Beiträgen aufgelistet.


      * Anzeige - Gegenanzeige
      * Anklage
      * Aussage gg. Aussage
      * kein Urteil - Einweisung
      * Steueranzeige unbearbeitet


    -skater

  • Zitat

    Original geschrieben von Sebastian
    Was ich an dem ganzen Fall erstaunlich finde:


    Es kriechen im (Wind-)Schatten dieses Falls diverse Agitatoren aller Couleur aus ihren Winkeln und benutzen den Fall, um ihre Sicht auf den/die Verschwörung/Skandal/Justizirrtum garniert mit allerhand Vermutungen, Interpretationen und heftigst gefärbten Meinungen vor ihren jeweiligen Karren zu spannen. ...


    Für erstaunlich halte ich das keineswegs ... nichts anderes hatte ich erwartet.


    Allerdings halte ich das auch für gut so. Mich interssiert es zum Beispiel sehr, wie solche Fälle in der Öffentlichkeit aufgenommen werden. Und gerade die breit gesteute Mitgliederstruktur des TT, die sich nicht vorwiegend aus Lesern der BLÖD-Zeitung rekrutiert, eignet sich m.E. zu einem Meinungsaustausch.


    Verschwörungstheorien wird es immer geben, so dass ich deren Einbringung in eine allgemeine Diskussion für gut und richtig halte - gerade das Internet sehe ich als geeignetes Medium, die öffentliche Meinung "ungefiltert" widerzugeben. Und genau das ist es, was zumindest mich interessiert.



    Zitat

    Original geschrieben von Sebastian
    ...
    Gustl Mollath wünsche ich, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt. Und das meine ich nicht im entferntesten zynisch oder angeschnitten, sondern genau so wie ich es schreibe.


    Diesem Wunsch schließe ich mich an. Ich denke, dass er in allen Teilnehmern dieser Diskussion existiert, auch wenn sie es nicht ausdrücklich ausgesprochen haben sollten - schließlich dürfte dieser Wunsch Triebfeder der Teilnahme an der Diskussion sein.


    Frankie

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!