Der sogenannte Schienenersatzverkehr-warum nicht so reibungslos wie bei Elektrizität?
Martin Reicher und andere Eisenbahn-Experten hier im TT-Forum :
Was mir aus Anlass des Schienenersatzverkehr-Themas (SEV) auffällt, ist, dass es ausnahmslos immer mit gravierenden Einschränkungen für die Fahrgäste einhergeht. Warum eigentlich?
Bauarbeiten werden von der Bahn geplant, oft akribisch Monate im voraus. Die Fahrgäste haben den vollen Fahrpreis bezahlt; wieso enthält man ihnen die Leistung vor?
Es fängt damit an, dass schon die eingesetzten Fahrzeuge weniger komfortabel sind, denn oft sind es Nahverkehrsbusse ohne Toiletten. Noch nie habe ich erlebt, dass an den betroffenen Haltepunkten mobile Toiletten (Dixi etc.) für die Fahrgäste aufgestellt worden wären.
Dann trifft es einen oft ohne Vorbereitung oder Information, dass man erst am Haltepunkt und mehr durch Zufall (nachdem man schon die Wartezeit bis der Zug überfällig ist abgewartet hat und somit keine Zeit mehr bleibt) erfahren hat, dass SEV ist, zurücklaufen muss in den Ort und dann folgerichtig den SEV-Bus verpasst und z.b. eine volle Stunde Zeitverlust hat.
Da das Straßennetz selten die Orte in der selben Reihenfolge abbildet wie die Schiene, der SEV aber fast stets nur das unabdingbare Minimum an Qualität bereitstellt - das Billigste - , sind zeitraubende Umwege und Umständlichkeiten, Stichstrecken mit Wenden und zeitfressendem Zurücksetzen des Busses die Regel. Obwohl das bei qualitätsorientierter Vorbereitung nicht sein müsste.
Durch all diese Umständlichkeiten und Qualitätsminderungen kommt es fast immer zu Verlust und Verschiebungen von Anschlüssen mit der Folge, dass es im weiten Umkreis zu indirekten Folgewirkungen kommt; ehedem halbwegs attraktive Verbindungen sacken ab ins Bodenlose.
Öfters werden weiträumige Fahrbeziehungen regelrecht zerhäckselt bis zur Unkenntlichkeit, denn wo vorher einmal umsteigen angesagt war, muss nun 3 oder 4mal umgestiegen werden - Zug/Bus, Bus/Zug, Zug/Zug usw., mit allen Unwägbarkeiten (z.b. warten bis auch die langsamsten Fahrgäste erkannt haben dass sie den Bus schon wieder verlassen müssen.)
Noch nie ist mir begegnet, dass die Bahn die Laufwege anderer Züge "ausgleichend" verlängert, damit (kompensatorisch) neue Fahrbeziehungen geschaffen werden,
damit an anderer Stelle auch mal ein Umsteigezwang entfallen kann,
wenigstens für die Zeit der Baustelle, die Netzwirkung der Baustelle möglichst aufgehoben oder gemindert oder kompensiert wird durch Mehrleistung auf der Schiene; damit wenigstens ein Teil der Fahrgäste einen Vorteil statt einen Nachteil hat; sehr selten, dass die SEV-Buslinien "Doppelt" angelegt werden, mit Schnellbus-Linien. (zuletzt erlebt: Paderborn / Bielefeld Vollsperrung wegen Sanierung).
Noch nie habe ich erlebt, dass der Takt auf den betroffenen Linien temporär verdichtet wird, z.b. von 60 auf 30 Minuten, um durch vermehrten Fahrzeugeinsatz die Unannehmlichkeiten gering zu halten, durch verkürzte mittlere Wartezeiten an Haltepunkten den Komfortverlust durch verlängerte Fahrzeiten der Busse auszugleichen. Warum? Im Gegenteil, immer wieder kommt es sogar zu ganz gestrichenen Fahrten. Man denkt sich anscheinend: die Leute sollen doch vermehrt Autofahren, man wirft die Flinte ins Korn...
und wenn jetzt jemand sagt, das wäre zu teuer: der Qualitätsverlust bleibt einem lange in Erinnerung. Und wie wird eine Baustelle denn in anderen Bereichen der Infrastruktur gehandhabt? Da wird in der Regel so geplant, dass gleichwertige Ausgleichs-Wege bereitgestellt werden, bevor die bau-betroffene Infrastruktur vom Bagger angefasst wird:
- beim Bau der neuen Strombrücke Thüringen-Bayern (Elektrizitätswesen; Ferntransport von Windstrom) merkt der Endverbraucher rein gar nichts! Und genauso bei den allermeisten Reparatur- und Wartungsarbeiten im Stromsektor, Wartung von Kernkraftwerken usw., die Versorgung läuft ununterbrochen auf 100% Niveau weiter!
... obwohl auch hier komplexe Fernwirkungen und geographisch weiträumige Trassen zu berücksichtigen sind - genau wie beim Schienennetz! Die Spannung bleibt aber für den Endverbraucher stets bei 230 Volt. Undenkbar, dass die Kaffeemaschine tagelang nur noch 30 Grad lauwarmes Spülwasser erzeugt statt frisch gebrühten duftenden Kaffee! So aber wäre es , wenn hier die Maßstäbe der Bahn angelegt würden.
- wenn die Telekom irgendwo Glasfaserstrecken erneuern muss für Fernstrecken der Internet-Daten oder Telefonie, bekommt der Endkunde in der Regel nichts mit, weil über gleichwertige Ersatzverbindungen geroutet wird.
- im Flugverkehr wenn irgendwo Luftraum gesperrt ist, wegen Unwetter z.b., fliegen die Flugzeuge aussen rum. Es ist keineswegs so, dass die Passagiere mitten im Luftraum plötzlich umsteigen müssen und runterfallen können, nein, sie können, einmal eingestiegen, darauf vertrauen ans Ziel gebracht zu werden.
Wieso kann die Bahn das nicht?
Auf Wikipedia habe ich ein Bild einer "Kletterweiche" bei der Straßenbahn Mannheim gesehen. Aber noch nie habe ich so eine Maßnahme im Wirkbetrieb der Bahn gesehen. Viel zu oft fällt die Bahn mit ihrer Qualität bei größeren Baustellen (mit Gleissperrung) in die Steinzeit des Verkehrszeitalters zurück. Warum?