Europäische Schuldenunion - ist der Politik überhaupt noch zu trauen?

  • Zitat

    Original geschrieben von Applied

    - Deutschland hatte noch vor 10 Jahren Arbeitslosenquoten über 10%.
    - Diese waren höher als in Frankreich, Italien oder Griechenland.
    - In den neuen Bundesländern lag die Quote zeitweise bei über 20%.


    Hat Deutschland damit wirklich, wie es der Autor behauptet "in den letzten Jahren unter seinen Verhältnissen gelebt"? :confused:

    Genau genommen hat sich daran auch nicht viel geändert, da die Gesamtheit der Löhne in DE seit Beginn von HartzIV konstant geblieben ist, was nur geht, wenn bei mehr Beschäftigten mehr Niedriglöhner die Statistikwerte unten halten (ich hatte das bereits hier verlinkt).
    Im Gegensatz dazu ist die Produktivität kontinuierlich gestiegen (aka Wirtschaftswachstum), woran die Arbeitnehmer seit 10 Jahren nicht teilhaben. (Inflation hier noch gar nicht berücksichtigt)


    Aus diesem Grund schwächelt unser Binnenmarkt im Vergleich zum Export (-überschuss)... und Überschuss geht nur, wenn sich andere dafür verschulden.
    Wir leben also auf Pump der anderen und exportieren unsere Arbeitslosigkeit durch Dumpinglöhne (salopp formuliert)


    Zu Ostdeutschland sollte man sicher berücksichtigen, dass dessen Industrie auch Konkurrenz war und daher konsequent verdrängt werden musste. Manche Kombinate versorgten den gesamten RGW-Raum: Das bedeutete riesige Produktionskapazitäten, die ganze Märkte zerstört hätten.
    Ein solcher Kahlschlag in einem Industrieland war imho einzigartig. Wenn ich das mit dem Kohleabbau im Ruhrgebiet vergleiche, wo nur eine winzige Teilsparte der Industrie aufgegeben wurde...
    Im Vergleich dazu haben sich die Ostdeutschen erstaunlich friedlich in ihr Schicksal gefügt..


    Dass bei der Wiedervereinigung auch Fehler von historischer Tragweite gemacht wurden, würde ich daher als situationsbedingt verzeihen.
    BTW:
    Rohwedder hatte die Industriewerte auf afair 600Mrd beziffert, während Breuel mit einem Minus von 400Mrd abschloss. Zudem war der ursprüngliche Ansatz der Treuhand unter Rohwedder das treuhänderische Verwalten von Anteilswerten der Ostdeutschen, die diese Werte schufen (daher auch der Name). ...aber Rohwedder wurde erschossen und von einer CDU-Politikerin ersetzt.
    ...aber das ist schon eine ganz andere Geschichte...

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    wenn ... ja wenn der EuGH dem nicht unter Berufung auf die Eigentumsgarantie nach europäischem Recht einen Riegel vorschöbe


    Wieso Eigentumsgarantie? :confused:


    Als Darlehensgläubiger hast du eine Forderung gegenüber dem Schuldner.
    Aber du erwirbst ja kein Eigentum(santeil) am Schuldner.


    Forderungen können ausfallen - ohne dass dein Eigentum davon betroffen wäre.
    Darum bzw. dazu lässt man sich ja ggf. Sicherheiten geben.
    So wie es im Griechenland-Fall Finnland tat.

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Alles in allem enthielte mir die Argumentation von Prof. Sinn zu viele Unbekannte, wenn es keine Rechtsgrundlage oder eine sonst allgemeingültige und anerkannte/übliche Verfahrensweise dafür gäbe, dass sich die Schulden Griechenlands im Falle eines Konkurses "in Luft auflösen" würden.


    Wie sieht es damit aus?


    In der Regel kommt es nach einem Zahlungsausfall eben zu einem Schuldenschnitt bei dem die Gläubiger (notgedrungen) auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Vor einigen Jahren gab es eine Studie, in der die "Haircuts" der letzten Jahrzehnte empirisch untersucht wurden und die zu dem Ergebnis kam, daß dieser Anteil von Fall zu Fall gewaltig schwankte (zwischen knapp 5 und fast 90%). Für den konkreten Fall Griechenlands haben Ökonomen der UBS vor kurzem berechnet, daß der Schnitt mindestens 70% betragen müßte, um zu einer "tragfähigen" Schuldenlast zurückzuführen. Und da die Bundeswehr nun einmal nicht in der Lage ist, nach Poincaréschen Vorbild Teile Griechenlands als Unterpfand zu besetzen, wird Herr Tsipras eben bekommen, was er immer wollte, nämlich eine "politische Lösung". Und ich wage die kühne Prognose, daß die Quote hierbei näher bei 90 als bei 5% liegen wird. Insofern kann man bei realistischer Betrachtung durchaus davon ausgehen, daß sich (zumindest der größte Teil) der griechischen Schulden bald "in Luft auflösen" wird.

  • Zitat

    Original geschrieben von Applied
    Wieso Eigentumsgarantie? :confused:


    Als Darlehensgläubiger hast du eine Forderung gegenüber dem Schuldner.
    Aber du erwirbst ja kein Eigentum(santeil) am Schuldner.


    Forderungen können ausfallen - ohne dass dein Eigentum davon betroffen wäre.
    ...


    Zumindest in Deutschland gehören Forderungen sehr wohl zum grundgesetzlich geschützten Eigentum (vgl. etwa diesen Link unter dem Stichpunkt "b. sachlicher Schutzbereich/aa. private vermögenswerte Positionen").


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Europäische Recht von einem komplett anderen Eigentumsbegriff ausgeht. Enteignungen (wie etwa auch die der griechischen Rentner - auch sie haben letztlich nur eine Forderung, in die eingegriffen wird) sind stets eine heikle Angelegenheit, in der in aller Regel die Gerichtsbarkeit das letzte Wort hat, so dass ich die Folgen einer Enteignung als "Variable" in seriösen Berechnungen ansehe, weil die Folgen zum Zeitpunkt der Vorhersage ungewiss sind.


    So hat im Falle griechischer Rentner schon das nationale Verfassungsgericht die Rentenkürzungen in Teilen für verfassungswidrig erklärt (ohne dass der EuGH angerufen werden musste).


    Sollte ein ersatzloser Ausfall des allergrößten Teils der Forderungen gegen Griechenland nicht sicher prognostizierbar sein, halte ich die (prinzipiell zu begrüßende) Einschätzung von Prof. Sinn für wenig hilfreich, weil von vornherein fraglich.

  • Ein Referendum an sich finde ich ja okay, auch wenn ich ein Anhänger der repräsentativen Demokratie bin und die Verhandlungen über den Bailout so komplex sind, dass ich meine Zweifel habe, ob sich das für eine Volksabstimmung eignet. Das Hauptproblem sehe ich eher im Zeitpunkt. Vor drei Wochen wäre das m.E. in Ordnung gewesen, aber jetzt?


    Die griechische Regierung hat sich verzockt und will nun die Verantwortung abschieben. Allein die Rhetorik macht deutlich, dass eine sachliche Diskussion nun schwierig werden dürfte. Ob man in Finnland viel Verständnis für verletzten griechischen Stolz hat? Ich glaube, so eine Argumentationsebene wird in Helsinki kaum verstanden, das dürfte schon in Paris und Berlin schwierig sein. (Abgesehen davon: Wären Sarkozy und Schröder die Verhandlungspartner, würde mir der Vorwurf der versuchten Demütigung ja noch zumindest entfernt einleuchten, aber bei Lagarde, Hollande und Merkel? Bei Juncker?)


    Anders als mancher Mitdiskutant glaube ich aber, dass mit dem Grexit die Probleme nicht wie bei einem gordischen Knoten mit einem Hieb gelöst bzw. durchschlagen werden, sondern dass, wenn wir Pech haben, dann die Schwierigkeiten erst so richtig anfangen.

    Ich will immer Herbst. Ich will immer Küste. Ich will immer Norden.

  • Wie will man denn eine Volksabstimmung in einer Woche organisiert bekommen? Vor allem in Griechenland. Selten so gelacht...
    Fragt der Bankautomat dann danach und man muss nach dem Geldabheben auf Rot oder Grün drücken?


    Und welches Ergebnis wird da wohl kommen? Die Regierung empfiehlt dagegen zu stimmen aber erwartet genau welches Ergebnis? Das ist doch eine Farce. Es wird dagegen gestimmt werden und es bringt weder GR noch der EU was. Es bringt nur ein paar Tage mehr Zeit, sonst nichts.

  • Warten wir mal ab, ob es nicht doch noch eine Einigung gibt. Die Finnen, Niederländer, Slowaken und Spanier scheinen allerdings nicht besonders kompromissbereit zu sein. An Merkel und Hollande würde eine Einigung dagegen m.E. nicht scheitern.


    Ich würde es begrüßen, wenn man den Griechen entgegenkommt, um den unkontrollierten Crash zu verhindern. Der griechische Finanzminister ist in dieser Management-Position allerdings offenbar fehl am Platz.

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  • Damals wäre ein Zusammenbruch der griechischen Banken und Volkswirtschaft auch für den Rest der EU sehr gefährlich gewesen.

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  • Und genau damals hätte man es machen sollen. Wären halt paar Banken und Bänker zur Hölle gefahren. Wen jucken die schon.

    .:Gate 13:.
    Vor die Wahl gestellt zwischen Unordnung und Unrecht, entscheidet sich der Deutsche für das Unrecht.
    Johann Wolfgang von Goethe

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