Mitbewohner braucht Hilfe - wie helfen?

  • Folgende Situation,


    einer meiner Mitbewohner in einer vierer-WG ist in keinem guten Zustand.


    Warum glaube ich, dass er Hilfe braucht?


    Er ist bereits 35 und verlässt sein Zimmer nur äußerst selten, dementsprechend hat er auch keinen Job oder überhaupt eine regelmäßige Tätigkeit. "Offiziell" studiert er, aber zufällig habe ich erfahren, dass er noch nicht mal mehr eingeschrieben ist. Zwar ist sein Zimmer nicht verwahrlost, so lässt er sich selbst verwahrlosen (fehlende Zähne, 1x pro Woche Duschen, besitzt gefühlt eine Hose und einen Pulli). Seinen Tagesrhytmus unterwirft er völlig seinem Körperempfinden, ist er müde, schläft er halt, wenn nicht, dann nicht. Er trinkt nicht wenig Alkohol (einen genauen Überblick haben wir nicht).


    Wie sein Leben finanziert wird, weiß ich nicht genau. Nach früheren Aussagen würden seinen Eltern heute nicht mehr für ihn aufkommen, aber arbeitslos ist er nicht gemeldet.


    Er könnte depressiv sein, eine Psychotherapie hat er bereits hinter sich gebracht (inkl. Medikamente).


    Bei uns stellt sich nun inzwischen Ratlosigkeit ein. Zahlreiche einzelne und gemeinsame Gespräche sind bisher ohne Wirkung geblieben. Sein Zustand scheint sich kontinuierlich zu verschlechtern und man selbst scheint machtlos, etwas dagegen unternehmen zu können. Die primäre Frage ist für mich:


    Wie können wir ihm helfen, bzw. wie kommen wir an Unterstützung?


    Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt.

  • Das wird schwierig. Denn eins vorab:


    Solange von dem Mitbewohner keine konkrete Gefahr für Dritte oder sich selbst ausgeht, wird man nur an seine Einsicht apellieren können.


    Insoweit gehe ich einfach mal davon aus, dass Ihr schon alles Machbare versucht habt. Vielleicht könnt Ihr eine Person für Eure Idee gewinnen, die der Mitbewohner in besonderem Maße respektiert. Dann könnte vielleicht eine Basis entstehen - für eine Bereitschaft, sich helfen zu lassen. Denn die halte ich für eine unabdingbare Voraussetzung jeglichen Handelns; sonst kann der Schuss leicht nach hinten losgehen. Unabhängig davon, wie gut Ihr es möglicherweise gemeint habt.


    Frankie

  • Wie stellt man denn eine konkrete Gefahr für ihn selbst fest? Muss denn immer erst was schlimmes passieren?


    Eine derartige Person, wie du sie beschreibst, kenne ich leider nicht. Da müssen wir schon selbst dran. Klar ist seine Bereitschaft die Voraussetzung für einen Erfolg, aber wie können wir diese erhalten? Gibt es rhetorische Mittel?

  • Von einer konkreten Selbstgefährung sind Deine Schilderungen meilenweit entfernt. Die könnte etwa anzunehmen sein, wenn man den Mitbewohner dabei beobachtet, wie er mit einem Strick auf den Speicher entschwindet.


    Ein Mittel der Wahl könnte das sog. Betreute Wohnen sein - das gibt's auch in einer ambulanten Variante, bei der die eigene Wohnung erhalten bleibt. Oder eben eine Soziotherapie, deren Ziel es wäre, den Betroffenen aus seiner Wohnung herauszuholen, um ihn wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Dazu gehören etwa auch Arzt- und Behördenbesuche, um das Problem als solches anzugehen. Ersteres wird durch die Landkreise/Landschaftsverbände organisiert/finanziert, die Soziotherapie ist Kassenleistung.


    Es gibt etliche Hilfestellungen. Problem: Man muss sie aus eigenem Antrieb in Anspruch nehmen. Wer hierzu in der Lage ist, braucht sie allerdings oft schon nicht mehr. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz ... :rolleyes:


    In manchen Städten soll es präventive Depressions-Netzwerke geben (die sogar Selbstmordrate in den betreuten Gebieten wohl um gut 30% senken sollen). Was sich allerdings konkret dahinter verbirgt, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht kann Tante Google insoweit Hilfestellung leisten.


    Frankie

  • in vielen städten gibt es sog. sozialpsychiatrische dienste, die betroffenen (kostenlose, erste) hilfestellung bieten. Problem allerdings auch hier: afaik müssen die betroffenen selbst die initiative ergreifen. Aber viell. wäre es einen versuch wert, daß Ihr dort 'mal anruft, um zu klären, ob die evtl. auch auf initiative dritter, hier: auf Eure initiative hin, tätig werden.


    Aber vorsicht: seeehr viele menschen mit psychischen problemen negieren diese und nehmen es den helfern seeehr übel, die sich -- in bester absicht -- "einmischen". Derartige hilfe bedarf eines extrem sensiblen fingerspitzengefühls.


    Oder um es in einem satz zu sagen: diese menschen befinden sich meist in einer verfassung, in der sie zwar
    einerseits druck -- indem man sie liebevoll, aber beharrlich dazu bringt, hilfe in anspruch zu nehmen -- benötigen, um aus dem (psychischen) loch wieder heraus zu kommen,
    andererseits vertragen sie aufgrund ihrer verfassung eigentlich gar keinen druck.
    Ein echter gordischer knoten !


    Und noch etwas, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber von 95% aller menschen dennoch missachtet wird: der beliebte satz "Der soll sich doch zusammenreißen" ist nicht nur blöd, sondern sinnlos, weil diese menschen genau das problem haben, daß sie das eben nicht (mehr) schaffen.

    vielen dank für alle hilfreichen antworten


    Der teuro ist tot, es lebe die neue alte DM. Wetten auf 10-jahres-sicht werden angenommen (gibt's da eigentlich internet-wettanbieter für?).

  • Zitat

    Original geschrieben von malinfo
    in vielen städten gibt es sog. sozialpsychiatrische dienste, die betroffenen (kostenlose, erste) hilfestellung bieten.


    Das wäre auch meine Empfehlung. Die Sozialpsychiatrischen Dienste helfen kostenlos auch nicht direkt Betroffenen, also Mitbewohnern, Arbeitskollegen, Freunden, Bekannten, etc.


    Allerdings werden dich auch sagen, dass Hilfe nur dann ankommt, wenn der Betroffene selbst die Hilfe auch will. Ansonsten ist Hopfen und Malz verloren.

  • Zitat

    Original geschrieben von Merlin
    Allerdings werden dich auch sagen, dass Hilfe nur dann ankommt, wenn der Betroffene selbst die Hilfe auch will. Ansonsten ist Hopfen und Malz verloren.


    Yep und zwar oft deswegen, weil die personell unterbesetzt sind und deswegen nur begrenzt helfen können! :rolleyes: (bevor hier jetzt Fragen kommen: in meiner Zeit als Einzelfallhelfer hat mir der ärztliche Leiter sein dementsprechendes Leid geklagt!)


    Ein Zusatzproblem ist: "Das Gegenteil von 'gut' ist 'gut gemeint'!" Wir müssen uns daran gewöhnen, auch "schräge" Leute in unserer Gesellschaft zu ertragen, denn wollen wir, dass uns Leute sagen, was "besser" für uns wäre?


    Deshalb: dem Mitbewohner sagen, dass man bei Problemen für ihn da ist und ihm helfen wird, sonst aber seine Eigenverantwortlichkeit betonen. Er muss seine Verantwortung in die eigene Hand nehmen, sonst wird das nachhaltig nichts. Und dann ist man auch selbst aus dem Schneider: er weiß bescheid, wird aber nicht durch dauernde Nachfragen genervt. Er muss um Hilfe nachsuchen, sonst läuft nichts!

  • versucht doch mal die eltern oder andere verwandte ausfindig zu machen. erklärt denen die situation und schaut was die dazu sagen...

  • Da stimm ich meinem vorgänger vollkommen zu, etwas hinter seinem Rücken zu machen kann gewaltig schief gehen und sogar noch zu mehr Isolation führen.. Wenn du das Gefühl hast, es muss etwas getan werden, dann ist -meiner Meinung nach- der Beste Weg, wenn man sich einfach mit ihm beschäftigt.. Vielleicht ist er gerade ein wenig Depressiv und würde vll auch gerne etwas daran ändern, aber alleine ist das meistens sehr, sehr schwer.. Wenn du ihm zeigst, das du für ihn da bist, wen er Hilfe oder Ablenkung braucht, wird er vielleicht ein paar Tage brauchen sich mit dem Gedanken anzufreunden und dann auf dich zukommen.

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