ZitatOriginal geschrieben von sweetsonny
denn meines erachtens kann man von 359 euro (plus miete! plus krankenversicherung!) leben.
Man kann damit physisch existieren, aber zum "Leben" gehört auch psychische und damit soziale Teilhabe. Sozialkontakte sind bei Studierenden schon durch die Uni automatisch gegeben, außerdem ist man mit dem Studi-Ticket und aufgrund seiner Jugend problemlos mobil, in den meisten Städten sogar in ganzen Verkehrsverbünden. Im Alter sieht das anders aus. Da gibt es weder ein Ticket für den ÖPNV, schon gar nicht ein großes Gebiet abdeckend, und es ist auch beschwerlicher sich agil zu bewegen.
Der Regelsatz des ALG II sieht pro Monat 14,36 EUR für ÖPNV-Tickets vor. Jetzt darfst du mir gerne mal erklären, wie weit man damit kommt... Selbst in Städten mit Sozialtickets kosten diese locker das dreifache.
In der Studenten-WG steht dann meistens eine von irgendwem spendierte Waschmaschine, ein Kühlschrank, die ausrangierte Wohnzimmergarnitur irgendwelcher Eltern. Bei älteren Menschen ist dieses Sponsoring nicht mehr da und es gibt auch keine Großeltern, Tanten oder Onkel, die einem mal ein Scheinchen zustecken. Mal ganz davon abgesehen, dass sich die Lebenskonzepte auch ändern. Als Student ist es in der WG lustig, mit 60 sind die Menschen anders drauf.
Auch dieses unterschlägst du in deiner Betrachtung völlig: Als Student mit Perspektiven und Plänen für die Zukunft betrachtet man die Dinge anders als wenn man im Alter gerne einen friedlichen Lebensabend haben möchte. Wer sein Leben gemeistert und oft auch schwer gearbeitet hat, würde irgendwann gerne die Früchte seiner Leistungen ernten und will nicht mit dem Gefühl leben, es nie zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht zu haben.
Diese Wahrnehmungen scheinen dir völlig fremd zu sein.
Als Studierender mag knappes Haushalten kultig und "dazugehörig" sein, für alte Menschen ist es würdelos, beschämend und ihr Stolz wird verletzt, sie bekommen nicht den Respekt, den sie für ihre Lebensleistung verdienen und brauchen.
ZitatOriginal geschrieben von sweetsonny
und dass hier das geld vielleicht nicht für teure freizeitaktivitäten reichen usw - ganz ehrlich? algII ist nicht als dauerlösung gedacht...
Gedacht ist es dafür nicht, aber es ist die Realität. Studien belegen, dass man heute sehr schnell in prekäre Umstände abrutscht, der Aufstieg in eine höhere soziale Schicht aber sehr schwer geworden ist. Wer aufgrund seines Alters oder mangelnder Ausbildung keinen Job mehr bekommt, kann es sowieso vergessen. Für viele Menschen ist ALG II eine Dauerlösung, der sie nicht mehr entrinnen können.
ZitatOriginal geschrieben von sweetsonny
und auch nicht als rundumversorgung inkl. vergnügungspark wöchentlich. hier soll eine grundsicherung geboten werden, nicht mehr, aber auch nicht weniger. und wenn ich mir anschaue, was alles unter grundsicherung fällt (ja, auch zigaretten, ja, auch kino...), dann frag ich mich manchmal, ob das nicht mehr als ausreichend ist, was bei alg II bezahlt wird.
Der Posten heißt offiziell "Nahrung, Getränke, Tabakwaren" und dafür stehen monatlich 132,83 € zur Verfügung. Entgegen dem Eindruck, den du erweckst, sind Zigaretten keineswegs gesondert im Regelsatz enthalten, sondern wer raucht muss dafür an Esswaren sparen, denn der Betrag bleibt immer derselbe.
132,83 € heißt, dass pro Tag 4,28 € zur Verfügung gestellt werden. Wer nur von Spaghetti mit Tomatensoße lebt, kann davon gut satt werden. Was ist, wenn der Mensch auch mal Lust auf einen Hamburger hat oder gerne ein Eis essen würde? Ein Eisbecher heißt dann, 2 Tage fasten zu müssen weil die Rechnung sonst nicht aufgeht. Ein kleines Menü, bestehend aus einem Burger, Fritten und Getränk im Schnellimbiss? 1 1/2 Tage fasten weil das Geld sonst nicht reicht.
Der Staat soll niemandem eine Dauerernährung im Schnellimbiss finanzieren, aber es ist völlig lebensfremd und unmenschlich zu erwarten, dass ein Hartz IV-Bezieher niemals Hunger auf leckere, aber kostspieligere Dinge haben darf. Die Lebensrealität besagt eher, dass das Bedürfnis, sich ab und zu auch etwas Besonderes gönnen zu können, gerade in einem ansonsten auf allen Ebenen reduzierten Leben am Existenzminimum ansteigen wird.
Das Kino wird, auch entgegen dem Eindruck in deiner Aussage, ebenso nicht explizit finanziert. Der Posten heißt "Freizeit und Kultur" und bietet monatlich 39,49 €. Vergessen wir mal die GEZ, dann bleiben immer noch Fragen: darf man eine Zeitung lesen und obendrein ein Buch, oder muss eins von beidem reichen? Oder lieber keine Zeitung, dafür 1 Kinobesuch und ein Groschenroman aus dem Bahnhofskiosk?
Auch hier: selbst für einen sparsamen Menschen ist es kaum möglich sich einen ganzen Monat lang zu informieren und zu zerstreuen weil das dafür vorhandene Geld einfach nicht reichen wird.
ZitatOriginal geschrieben von sweetsonny
so, und jetzt am besten wieder draufhauen, ist sehr amüsant :top:
Nein, nicht draufhauen. Aber ich möchte, dass intelligente Menschen wirklich mal in sich gehen und überlegen, ob es ernsthaft möglich ist von solchen Beträgen über längere Zeit zu leben, und zwar mit dem Anspruch ordentlicher körperlicher Versorgung und sozialer Teilhabe, weil beides zum Menschen gehört. Wir unterhalten uns über Menschen mit kulturellen und sozialen Bedürfnissen, nicht über lebende Maschinen.
Wer genügend Geld zur Verfügung hat stimmt hierzulande gerne in die typisch deutsche Neiddebatte ein und schwafelt von seiner schweren Arbeit, dem frühen Aufstehen und dem Lohnabstandsgebot oder den zu nutzenden Chancen von Transferleistungsbeziehern.
Dass viele von ihnen aufgrund ihrer Lebensumstände keine Kraft haben, sich aus ihrer aktuellen Lebenssituation zu lösen, wird einfach übersehen und man ignoriert sogar, dass selbst besonders zielstrebige Menschen oft schlicht keine Chance mehr haben weil der Zug ab einem bestimmten Alter oder ohne passende Ausbildung schlichtweg abgefahren ist.
Es ist eben NICHT so, dass sich jeder selbst aus dem Schlamassel befreien kann, der das gerne will.
Ich habe auch inzwischen überhaupt kein Verständnis mehr für die zunehmende soziale Schere in der Gesellschaft und finde befremdlich wenn sich - wie auch hier im Thread - ausgerechnet auskömmlich verdienende Menschen in Neid über die Ärmsten in unserer Gesellschaft äußern. Das ist ein soziales Armutszeugnis.
Normal intelligente Menschen müssen doch erkennen, dass man nicht allen Ernstes über einen Mindestlohn diskutieren kann, wenn der in fast allen EU-Ländern gut funktioniert, selbst in Staaten, deren Wirtschaft weit hinter der unseren rangiert. Wenn man dann über solche Themen derart streiten muss, ist das eine geistige Bankrotterklärung für dieses Land. Hier wird eine soziale Kälte transportiert, die unsäglich ist und für die man sich schämen sollte.
Ich würde manchem als heilsamen Schock gerne mal 1 Monat Leben am Existenzminimum gönnen, dann würden sie aus ihren Traumwelten geholt...