Libyen und Gaddafi

  • Wir dürfen nie vergessen, dass wir eine Art Stellvertreterkrieg führen. Bei Beurteilung der Wirkungen eines solchen Kriegs müssen wir wohl oder übel versuchen, die Sichtweise der arabischen Welt zu übernehmen - einer Welt, der zudem durch lokale Medien und Prediger eine Anti-Westliche Stimmung geradezu eingetrichtert wird.


    Wenn wir "unsere" Sicht der Dinge zugrunde legen, dürfen wir das nicht tun, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der gesamten arabischen Weltbevölkerung nehmen - und nicht nur auf die einiger Vertreter der Bildungselite, die in der Arabischen Liga vertreten sind.


    Zu beurteilen, wer wirklich die Stimmungslage der arabischen Bevölkerung vertritt, halte ich für sehr schwierig. Wenn sich der Westen sich Gruppierungen aussucht, die ihm genehm sind, muss dass noch lange nicht heißen, dass diese wirklich repräsentativ sind - auch, wenn das im Angesicht der Vorfälle der letzten Wochen so scheinen mag.


    Zudem:
    Die Vergangenheit hat bewiesen, dass die Stimmungslage in der arabischen Welt sehr schnell "kippen" kann. Gaddafi wird als Medienprofi nichts unversucht lassen, dies zu erreichn. Kann er nun genug - echte oder unechte - zivile Opfer vorweisen, kann sich das Blatt schnell wenden. Der Hass der arabischen Welt auf die USA und ihre Verbündeten ist wirklich sehr tief verwurzelt. Es braucht in der Regel nicht viel, dieses Feuer wieder zu entfachen ... und dann werden dieselben Zustände eintreten, wie in Afghanistan und im Irak. Die Zahl der Iraker, die die einst bejubelten Amerikaner auch heute noch als "Heilsbringer und Retter" sehen, wird jedenfalls immer geringer.


    Frankie



    Erg.:
    Der jetzige Militärschlag führt den Regierungen der "Schurkenstaaten" wieder einmal eindrücklich vor Augen, dass allein der Besitz von Atomwaffen geeignet ist, solchen Übergriffen vorzubeugen. Worauf sie ihre Kräfte in der nächsten Zeit bündeln werden, dürfte damit ziemlich klar sein. Will man im Iran die Entwicklung von Atomwaffen sicher verhindern, müsste man wohl bald handeln ...

  • Irgendwer hatte hier ein angeblich aufschlußreiches Interview mit einem (umstrittenen) deutschen Professor für Strafrecht auf n-tv verlinkt. Soweit ich weiß, gilt das deutsche Strafrecht in Libyen nicht wirklich, da ist eher Völkerrecht gefragt: klick mal .


    Die Enthaltung sollte aber nicht wirklich verwundern, denn solange in diesem Staate anscheinend das zusammenkopieren einer Doktorarbeit als verwerflicher betrachtet wird als die Duldung eines Massenmordes, solange sollte niemand ernsthaft erwarten, dass dieser deutsche Staat in der Welt ernstgenommen wird...ausgenommen wohl China, Russland und auch Gaddafi hat ja Westerwelle für seine Enthaltung gelobt. Da kann ja Deutschland mächtig stolz sein...


    Mit der Enthaltung bei der UN-Resolution 1973 befinden wir uns ja mit anderen "demokratischen" Ländern wie China und Russland in "guter" Gesellschaft...


    Wer hier etwas von "inneren Angelegenheiten" des Staates Libyen schreibt sollte sich mal ernsthaft überlegen, ob es Völkerrechtlich gedeckt ist, wenn ein Diktator Massenmord mittels Militär ankündigt? Und welche dunkle Macht hat eigentlich die arabische Liga gezwungen, die Flugverbotszone zu fordern und sich sogar an deren Einhaltung zu beteiligen? Aber offensichtlich wieder typisch deutsch, alles zu zerreden bis das "Problem" von den anderen erledigt wurde, dann ist man ja fein raus...



    ...über Hawaai lacht die Sonne, über Deutschland die ganze Welt!

  • Insgesamt bin ich überrascht, auf wie viel Ablehnung ein "Nein" zu einer Beteiligung an einer Militäraktion stoßen kann - selbst wenn sich eine solche Maßnahme begründen ließe. Für den Einsatz solch drastischer Mittel gilt immer, dass es jede Menge Verlierer gibt. Ich persönlich kann nachvollziehen, dass hier nicht alle die gleiche Meinung teilen. Eine souveräne Regierung sollte also bei einer derartigen Gratwanderung auch gegen den (nationalen und internationalen) Strom schwimmen dürfen. Wer kann in einem sochen Fall mit absoluter Gewissheit entscheiden, was richtig und was falsch ist?


    Hinzu kommt: Die Situation in Libyen ist im Vergleich zu anderen Konflikten - beispielsweise der Genozid in Ruanda - recht unübersichtlich. Angenommen, die Intervention verhilft den Aufständischen an die Macht. Wer kann dann ausschließen, dass die Zivilbevölkerung ggf. nochmals beschützt werden muss, weil radikale oder fundamentalistische Kräfte das Land in eine Art "Würgegriff" nehmen?


    Frank: Ich bin nicht sicher, ob du das wirklich so gemeint hast. Der Aussage "Der Hass der arabischen Welt auf die USA und ihre Verbündeten ist wirklich sehr tief verwurzelt" kann ich jedenfalls so nicht zustimmen, falls damit tatsächlich die große Bevölkerungsmehrheit der arabischen Welt und wortwörtlich "Hass" gemeint ist. Und: Was meinst du mit Stellvertreterkrieg? Ist die Intervention deiner Meinung nach eine direkte Einflussnahme des Westens? Dazu würde dann die Zustimmung der Arabischen Liga zu diesem Vorgehen nicht passen.


    MfG
    Qwerlk

  • @ Frank: "die arabische Welt" bildet längst nicht so eine monolithisch geschlossene Einheit, wie man es Deinen Beiträge entnehmen kann. Es bestehen dort, wie in anderen Ländern und Gesellschaften auch, große politische, soziale und sogar religiöse (Sunniten, Schiiten, Aleviten) Gegensätze, die z. T. in sehr gewalttätigen Konflikten ausgetragen werden. Dass die Regierungen der arabischen Staaten nicht zwangsläufig auch für die Mehrheit der dortigen Bevölkerung spricht und mit deren Interessen übereinstimmend handelt, dürfte spätestens durch die seit Januar anhaltenden Unruhen in vielen arabischen Staaten klar geworden sein.
    Und noch ein Hinweis zur Terminologie: Weder Afghanistan noch der Iran gehören zur "arabischen Welt." Die Afghanen lassen sich zum allergrößten Teil den Ethnien der Paschtunen, der Tadschiken, der Hazara und der Usbeken (Turkvok) zuordnen. Im Iran sind es überwiegend Perser, Aserbaidschaner Kurden und Luren. In beiden Ländern ist der arabischstämmige Anteil an der Gesamtbevölkerung gering.

    Viele Grüße und einen Happy Day


    Guy Fawkes was the only person ever to enter Parliament with honest intentions.

  • @ Qwerlk:


    Prinzipiell hatte ich schon in diese Richtung gedacht. Vielleicht wäre es besser gewesen, zu formilieren: Der Hass in der arabischen Welt. Ob es die Mehrheit der Bevölkerung ist, weiß ich nicht einmal - wenn man die Medienberichte der letzten Jahre und Jahrzehnte in Erinnerung ruft, glaube ich schon, in vielen Gesichtern blanken Hass erkannt haben. Die zu den Bildern gerörenden Wortbeiträge berichteten auch davon.


    Zudem lege ich großen Wert auf die Veröffentlichungen des Peter Scholl-Latour. Als Quelle aus erster Hand berichtet auch er von echtem Hass - und nicht etwa nur von Verachtung.


    Und welches Unheil Terroristen aus diesen Kreisen anrichten können, haben wir erlebt. In dieser Gefühlslage sind viele bereit, ihr eigenes Leben zu lassen, wenn sie nur großen Schaden anrichten können. Das ist eine neue Qualität des Terrorismus, der ohne tiefgreifende hochemotionale Gefühlslage sicher nicht möglich wäre.


    Mal sehen, was wird ... zu welchen Untaten (auch gegen die eigene Bevölkerung) sich Gaddafi durch den Militäreinsatz erst noch angestachelt sieht, wird sich zeigen. Ich gehe aber davon aus, dass das Leid des lybischen Volks mit Militäreinsatz deutlich größer sein wird, als ohne. Diesen Beweis dürfte Gaddafi antreten wollen ...


    @ Happyday:


    Formal hast Du natürlich Recht - der Iran ist kein arabisches Land. Ein gemeinsamer Feind schweißt aber zusammen. Auch möchte ich daran erinneren, dass Osama Ibn Laden gerade in Afghanistan Unterschlupf fand. Und die Bereitschaft, ihn auszuliefern war gering.


    Auch wenn formal nicht alle der arabischen Welt zugerechnet werden können - der Iran hat sich schon häufig an die Seite der Araber gestellt. Der "Erzfeind" Israel, der sich auf ihrem Land bzw. in ihrer Nähe breit macht, ist für den größten Teil der Bevölkerung all dieser Länder derselbe. Und Amerika wird häufig mit in diesen "Topf" geworfen


    Frankie



    Erg.:
    Die Tippfehler berichtige ich, wenn ich wieder eine normalgroße Tastatur habe.

  • Medienberichterstattung und der nicht unumstrittene Scholl-Latour: Das genügt also schon, um hunderte Millionen vermeintlicher Individuen als "Hasser der westlichen Welt" zu bezeichnen oder in ein entsprechendes Licht zu rücken. Interessant, wie du zu dieser Anschauung gelangt bist.

    Was terroristisches Potenzial angeht: Neben einer diffusen "Gefühlslage" geht es hin und wieder auch um Ursachen wie Armut, Anaphabetentum, Abhängigkeit, religiöser Druck durch radikale Demagogen, Instrumentalisierung u.s.w. Diese Dinge treiben - gelegentlich in Kombination - häufig junge Leute zu solch schrecklichen Taten. Der Prototyp eines Terroristen ist sicher nicht ein hochqualifizierter Mohammed Atta.

    Dass diese Militärschläge das libysche Volk möglicherweise radikalisieren, da stimme ich dir zu, diese, leider große, Gefahr besteht. Das läge dann aber an den Militärschlägen selbst und sicher nicht an unterschwelligem Hass auf den Westen. Es dürfte kaum Nationen geben, die sich in ähnlichen Situationen nicht an Ihre "Anführer" klammern - ob zuvor Anhänger oder nicht.

  • Absolut lächerlich, was sich "der Westen" hier leistet! :flop:


    Während die Franzosen und mittlerweile auch die Briten und Amerikaner munter Bomben werfen, streitet sich die NATO-Führung über die Details eines Militäreinsatzes, der gerade unter ihrer Nase stattfindet. Man hatte Wochen Zeit, die Dinge zu koordinieren, und da fällt diesen Genies NACH dem Beschluss der Einführung einer Flugverbotszone endlich ein, dass man sich doch auch einmal Gedanken darüber machen könnte, was denn nun eigentlich passieren soll! :mad:


    http://www.tagesschau.de/ausland/libyen688.html


    Besser hätte sich die Propaganda-Abteilung von Herrn Gaddafi die Sache nicht ausdenken können als sich die NATO hier gerade selbst der Lächerlichkeit preisgibt und dem libyschen Diktator politisch in die Karten spielt. :flop:



    PS: Selbstverständlich darf dabei übrigens das Märchen von den präzisen westlichen Waffen nicht fehlen, die natürlich nur "die Bösen" töten und die Zivilbevölkerung sowie zivile Einrichtungen verschonen. :rolleyes:

    Viele Grüße und einen Happy Day


    Guy Fawkes was the only person ever to enter Parliament with honest intentions.

  • Zitat

    Original geschrieben von HappyDay989
    Absolut lächerlich, was sich "der Westen" hier leistet! :flop:
    ...
    und da fällt diesen Genies NACH dem Beschluss der Einführung einer Flugverbotszone endlich ein, dass man sich doch auch einmal Gedanken darüber machen könnte, was denn nun eigentlich passieren soll! :mad:
    ...


    Ich denke schon, dass man es gewusst hat. Nur man hat vorher nicht verraten wollen, was es ist:


    Das übliche ... nämlich Bodentruppen.


    Nur, hätte man die Katze vor dem UN-Beschluss aus dem Sack gelassen, wäre die Mehrheit gefährdet gewesen.


    Also läuft es nach dem altbewährten Muster:


    Erst schickt man Flugzeuge und schließt Bodentruppen aus. Und dann ... huch wie überraschend ... ist man gezwungen, Bodentruppen zu entsenden, weil es anders nicht geht.


    Jedenfalls ist es bisher immer so gelaufen und ich möchte mal voraussagen, dass es auch diesmal so sein wird. Alles andere würde mich jedenfalls sehr wundern.


    Kanada hat im übrigen schon die Entsendung von Bodentruppen zugesagt ... sicher nicht ohne jeglichen Grund.


    Frankie

  • Zitat

    Original geschrieben von HappyDay989
    ...


    PS: Selbstverständlich darf dabei übrigens das Märchen von den präzisen westlichen Waffen nicht fehlen, die natürlich nur "die Bösen" töten und die Zivilbevölkerung sowie zivile Einrichtungen verschonen. :rolleyes:


    Ghaddafis Propagandleute sind immer sehr schnell mit der Kamera zur Hand, wenn irgendwelche "spontanen" Jubeldemos für ihn stattfinden. Wenn er denn Zivile Opfer findet, werden wir die schon sofort präsentiert bekommen. Bei einer Bevölkerungsdichte von nur 3,3 Einwohnern pro Quadratkilometern und angesichts seiner Paranoja dürfte aber viel Platz zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen sein.


    Ansonsten kamen wieder die scheinbar berufstypischen Phrasen von bedrängten Diktatoren von ihm:
    Volkssturm, Endsieg über alles und jeden, Kampf bis zum letzten Blutstropfen ... kennt man irgendwoher ...

    LG: V30
    Samsung: Galaxy Tab S2 LTE, A5 (2017);
    Sony: Xperia X Compact;

  • Zitat

    Original geschrieben von saintsimon
    Ansonsten kamen wieder die scheinbar berufstypischen Phrasen von bedrängten Diktatoren von ihm:
    Volkssturm, Endsieg über alles und jeden, Kampf bis zum letzten Blutstropfen ... kennt man irgendwoher ...


    Die Lügen von den präzisen westlichen Waffen, die auf gar keinen Fall Zivilisten töten, kennen wir aber auch, und die haben sich seit dem ersten Krieg der USA gegen Saddam wirklich nicht geändert. Bloß dass sie dieses Mal zuerst von den Briten präsentiert werden, guckst Du hier:


    http://www.tagesschau.de/ausland/libyen688.html


    Es ist übrigens unglaublich schwer, verkohlten Leichen anzusehen, ob sie mal für Gaddafi waren, gegen ihn oder einfach nur unschuldige Zivilisten... :rolleyes:



    Ganz ehrlich: man könnte mit dem Gedanken an einen Krieg m. E. besser und ehrlicher leben, wenn man den Leuten von Anfang an reinen Wein einschenkt: in einem Krieg sterben Menschen, auch Zivilisten. Das ist nicht schön, aber es ist so. Auch Frauen, Kinder und alten Menschen werden getötet, wenn sie von Bomben oder Kugeln getroffen werden, und wir können nie ausschließen, dass unsere Waffen Unschuldige treffen. Wir verwenden Streumunition und Munition mit abgereichertem Uran für max. Durchschlagskraft. Notfalls haben wir auch noch viel gemeinere Sachen auf Lager, denn es geht uns eigentlich nur darum, unsere eigenen Verluste so gering wie möglich zu halten. Das Ziel, zivile Verluste der anderen Konfliktparteien zu minimieren, werden wir der Vermeidung eigener Verluste stets unterordnen, weil unsere Soldaten uns mehr wert sind als zivile Angehörige einer anderen Nation.
    Wenn man den Menschen diese Wahrheit sagt und die Mehrheit einem Kriegseinsatz unter diesen Voraussetzungen immer noch zustimmt, dann kann sich die politische und militärische Führung eines Landes wenigsten darauf berufen, nicht auch noch das eigene Volk verar...t zu haben und im Namen und mit Einverständnis der Mehrheit der eigenen Bevölkerung zu handeln.

    Viele Grüße und einen Happy Day


    Guy Fawkes was the only person ever to enter Parliament with honest intentions.

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