Libyen und Gaddafi

  • Der "umstrittene" Peter Scholl-Latour hat für Reaktionen der UN im Fall von Völkerrechtsverstößen wie aktuell in Lybien mal einen Begriff geprägt: den der "Selektiven Entrüstung".


    Will heißen:
    In aller Regel reagiert niemand wirklich auf Völkerrechtsverletzungen wie etwa in Schwarzafrika. Auch den Umstand, dass Isreal seit über einem halben Jahrhundert permanent gegen Völkerrecht und Resolutionen der UN verstößt, nimmt die Völkergemeinschaft mal eben hin. Israel denkt z.B. gar nicht daran, die von der UNO festgelegten Grenzen zu akzeptieren.


    In einigen wenigen Fällen allerdings ... zeigt man pure Entrüstung über die Untaten eines Machthabers. Es mag Zufall sein, dass die meisten der vom Mitgefühl der Völkergemeinschaft "profitierenden" Länder über Ölquellen verfügen ... oder eben Spekulation. Aber es ist halt so.


    Und genau das ist es, was ich meinte, als ich davon schrieb, die Völkergemeinschaft messe mit "zweierlei Maß". In meinen Augen werden sowohl vom UN-Sicherheitsrat wie auch vom internationalen Gerichtshof in erster Linie die Interessen der großen Industienationen (und darunter im wesentlichen der westlichen) vertreten - ein Eindruck, der auch in der arabischen Welt (und der Nachbarschaft) ganz sicher so wahrgenommen wird.


    Das Unternehmen einer objektiven Weltpolizei, die man wenigstens als halbwegs neutral auffassen und der man weltweit Vertrauen entgegenbringen kann, ist in meinen Augen grandios gescheitert.


    Frankie

  • Daß Geld die Welt regiert hatte ich allerdings als bekannt vorausgesetzt - und nicht nur im "Westen" oder "Asien", sondern überall. Aus Russland wären bald Waffenlieferungen im Wert von vier Milliarden Dollar an Libyen fällig gewesen, welche nun erstmal in de Luft hängen. Trotzdem hat der Schmerz nicht für ein Veto im UN-Sicherheitsrat gereicht (ich vermute Medwedjew dahinter).


    Aber die zehntausenden ausländische Gastarbeiter aus Arabien und Asien, auf welche die libysche Wirtschaft angewiesen war, die aber nun ihren Job verloren haben und von der libyschen Armee auch noch bei ihrer Flucht aus dem Land ihrer Habe beraubt wurden, waren nur aus altruistischen Gründen vor Ort und hatten mit Geld nichts am Hut, oder wie?

    LG: V30
    Samsung: Galaxy Tab S2 LTE, A5 (2017);
    Sony: Xperia X Compact;

  • Zitat

    Original geschrieben von saintsimon
    Daß Geld die Welt regiert hatte ich allerdings als bekannt vorausgesetzt - und nicht nur im "Westen" oder "Asien", sondern überall.


    Ich finde es aber immer wieder erheiternd, wie empört viele Menschen darauf reagieren, wenn man sie explizit auf diese altbekannte Tatsache als Motiv für politisches und militärisches Handeln hinweist. Viele reagieren dann mit Entrüstung, nach dem Motto "nein, unseres Politiker tun so etwas nicht, die handeln so, weil sie für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintreten." :D



    Zitat

    Original geschrieben von saintsimon
    Aus Russland wären bald Waffenlieferungen im Wert von vier Milliarden Dollar an Libyen fällig gewesen, welche nun erstmal in de Luft hängen. Trotzdem hat der Schmerz nicht für ein Veto im UN-Sicherheitsrat gereicht (ich vermute Medwedjew dahinter).


    Das ist doch nun wirklich ein durchschaubares Manöver. Selbst wenn man einen vier Milliarden Dollar schweren Rüstungsauftrag hat, muss man für sein Geld doch erst einmal die Waffen ausliefern können, was unter permanenten westlichen Luftschlägen gegen Gaddafis Waffen- und Truppentransporte sicherlich sehr schwer fallen dürfte.


    Also sagen sich die Russen: Liefern wir die Waffen halt an Gaddafis Nachfolger, eventuell mit einem kleinen Preisnachlass, und alles ist wieder in Butter. Oder anders formuliert: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. ;)



    Zitat

    Original geschrieben von saintsimon
    Aber die zehntausenden ausländische Gastarbeiter aus Arabien und Asien, auf welche die libysche Wirtschaft angewiesen war, die aber nun ihren Job verloren haben und von der libyschen Armee auch noch bei ihrer Flucht aus dem Land ihrer Habe beraubt wurden, waren nur aus altruistischen Gründen vor Ort und hatten mit Geld nichts am Hut, oder wie?


    Wo genau habe ich behauptet, dass die Gastarbeiter nicht in Libyen waren, um Geld zu verdienen? :confused:


    Im Vergleich zu den multinationalen Konzernen sind das aber arme kleine Schlucker, und sie können - im Gegensatz zu eben jenen Konzernen - nicht über gigantische Militärapparate verfügen, um ihre Interessen durchzusetzen.

    Viele Grüße und einen Happy Day


    Guy Fawkes was the only person ever to enter Parliament with honest intentions.

  • In der NATO scheint die Vernunft zu obsiegen. Lediglich 9 der erforderlich 28 Stimmen (also nicht einmal die Hälfte der Mitglieder) sind für ein militärisches Eingreifen.


    Das sieht für mich ganz danach aus, als sei eine Beteiligung der NATO als Institution vom Tisch. Allerdings darf man nicht verdrängen, dass es sich bei den derzeitigen Akteuren im wesentlichen um NATO-Mitglieder handelt, die "solo" vorpreschen und dadurch in der arabischen Welt durchaus der Eindruck entstehen könnte, die NATO als solche stünde hinter den Angriffen.


    M.E. müsste deutlicher hervorgehoben werden, dass derzeit nicht die NATO, sondern lediglich einzelne Mitglieder in eigener Verantwortung militärisch intervenieren.



    Erg.:
    Zudem - wenn es wirklich so ist, wie hier im Thread ausdrücklich betont wird, dass die UN-Resolution auf dringende Bitte der Arabischen Liga als legitime Interessenvertretung der arabischen Staaten gefasst wurde, muss man zwingend doch erst einmal den Einsatz der Luftwaffe dieser arabischen Staaten abwarten. Erst wenn deren Luftstreitkräfte - die selbst eine erhebliche Kampfkraft haben - mit dem Einsatz überfordert sind, kann ein Einsatz der NATO überfaupt erst in Erwägung gezogen werden. Alles andere hätte ein "G'schmäckle", das es unbedingt zu vermeiden gilt.


    Anstelle der Berichterstattung über Versäumnisse der NATO vermisse ich Berichte über die Kampfhandlungen arabischer Luftstreitkräfte und deren Erfolge ... warum wird darüber rein gar nichts berichtet?

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Anstelle der Berichterstattung über Versäumnisse der NATO vermisse ich Berichte über die Kampfhandlungen arabischer Luftstreitkräfte und deren Erfolge ... warum wird darüber rein gar nichts berichtet?

    angekündigt war die Beteiligung von Katar

  • Wie gesagt, es ist nicht immer so einfach, wie man(n) sich das hier im TT gerne vorstellt.


    Und das lernen nun auch manche User hier..:-)


    Frank:


    Ich bin mir sicher, das kein arabisches Land in einem anderen arabischen Land intervenieren wird, solange dort Moslems gegen Moslems kämpfen und(!) unbeteiligte zu Tode kommen können....das werden diese Staaten auf JEDEN Fall vermeiden wollen, aus verständlichen Gründen...:-)

    Suche: aktuell nichts


    30 positiv in der "neuen" Vertrauensliste, ??x mal positiv in der "Alten"..:-)


    Insider: Die Plaaaaaattttttttforrrrrrrrmmmmmmmmmm brennt nicht mehr, sie ist abgesoffen.....!

  • Zitat

    Original geschrieben von Timba69
    Ich bin mir sicher, das kein arabisches Land in einem anderen arabischen Land intervenieren wird, solange dort Moslems gegen Moslems kämpfen und(!) unbeteiligte zu Tode kommen können....

    Ist bei der Intervention saudi-arabischer Soldaten gegen die Demonstranten in Bahrein nicht genau das passiert?

  • Daß Moslems nicht gegen Moslems kämpfen würden, ist ein unhaltbares Ammenmärchen. Timba, Du fährst da ein Arsenal von Blödsinn auf (ja, nichts geringeres). Der ist mir in diesem Land schon so oft begegnet, daß ich es leid bin, darauf einzugehen.
    Ghaddafi nimmt bereits den Tod unbeteiligter in Kauf - seit Jahrzehnten.


    Aber mal ein Blick über den bequemen Tellerrand:


    "Dislike for Qaddafi Gives Arabs a Point of Unity"
    http://www.nytimes.com/2011/03…frica/22arab.html?_r=1&hp


    Und ja, ich zitiere ausführlich, da bereits ungelesene Links (zur gut gepflegten englischsprachigen Wikipedia) als unwürdig übergangen, statt gelesen wurden.


    "...
    “The Arab street reaction to the Western attacks on Libya has been warm,” said Hilal Khasan, chairman of the department of political studies at American University of Beirut. “This is not Iraq.”


    It is another disorienting twist in this season of upheaval in the Arab world. A fierce resentment about a legacy of Western intervention, fed by historical memories of colonialism and present-day anger at the invasions of Iraq and Afghanistan, has given way to a belief that the Libyan rebels desperately needed help that only the West could fully provide. The apparent hypocrisy of repressive Arab leaders endorsing military action against a repressive Qaddafi government did not escape many Arabs.


    “I see hypocrisy in everything the Arab leaders do, and I’m talking as a person of the Arab world,” said Randa Habib, a political commentator in Jordan. “I wanted them to take such a decision. There were too many people being killed in Libya. That man is cuckoo.”


    ...


    “In a way, the Arab League is trying to follow the sentiment of the Arab street,” said Shafeeq Ghabra, a political science professor at Kuwait University. “The street is now more in control. If we ever had an Arab street, this is the moment.”


    Many experts noted that that was itself a remarkable turn of events, given that the league had long been a special-interest group for the very leaders who had been pressed by their people to allow democratic change. At the very moment of the vote, some of those leaders were repressing their own citizens’ calls for that change, especially in the Persian Gulf, where Saudi troops rolled into Bahrain to help crush a popular uprising.


    “I don’t think the Arab League has any kind of legitimacy,” said Muhammad al-Masry, a researcher at the Center for Strategic Studies in Amman, Jordan. But, he added, “I think the Arab leaders should have taken this decision through the Arab League.”


    In an article titled “The Lesser of Two Evils,” in the Egyptian daily newspaper Shorouk, the commentator Fahmy Howeidy said that the Western bombing runs on Libya were “shocking and agonizing for us.” He added, “We did not wish to stand and watch airstrikes being directed against any Arab country.”


    And yet, Mr. Howeidy wrote, “the practices of the forces of Colonel Qaddafi have become an aggression against the right to life itself,” adding with a degree of resigned regret, “We dream of the day where the Arab regime is able to defend the Arab people, but that day remains elusive.”


    ...


    Saudi animosity runs deep. In 2004, Colonel Qaddafi was accused of being directly involved in a plot to assassinate King Abdullah, who was then the crown prince. Then in 2009, Colonel Qaddafi embarrassed the emir of Qatar, Sheikh Hamad bin Khalifa al-Thani, and infuriated King Abdullah, during an Arab summit meeting in Doha, Qatar.


    Colonel Qaddafi first denounced King Abdullah “as a British product and American ally,” concluding by calling him a “liar.” When Sheikh Hamad tried to quiet him, he said, “I am an international leader, the dean of Arab rulers, the king of kings of Africa and imam of Muslims, and my international status does not allow me to descend to a lower level.”


    At that point the sound was cut on the television broadcast and Colonel Qaddafi stormed out of the room, leaving a memory that surely made it easier for those leaders to endorse the no-fly zone, political analysts said.


    Ms. Habib, the political commentator, said, “He had no friends in the Arab world.”


    ..."

    LG: V30
    Samsung: Galaxy Tab S2 LTE, A5 (2017);
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  • Zitat

    Original geschrieben von Timba69
    ...
    Ich bin mir sicher, das kein arabisches Land in einem anderen arabischen Land intervenieren wird, solange dort Moslems gegen Moslems kämpfen und(!) unbeteiligte zu Tode kommen können....


    Ach ja, mit dieser Aufgabe beauftragt man dann lieber Christen ... oder wie darf ich das verstehen?


    Oder meint man allen Ernstes, durch christliche Bomben wären Opfer unter unbeteiligten Zivilisten ausgeschlossen? Dann freilich ... hätte man offensichtlich den falschen Glauben!


    Ich bleibe dabei: Die Führung von Stellvertreterkriegen, die der arabischen Welt zu schmutzig sind, weil Zivilisten getötet werden können, ist nicht Aufgabe der NATO!


    Diese Logik ist keine!


    Frankie

  • Libyen


    So lang diese "Angelegenheiten" der Weiterentwicklung zur Menschlichkeit dienlich sind wären sie für mich schmerzhaft vertretbar. :(

    Ich erinnere mich an die Zukunft, aber in die Vergangenheit kann ich nicht sehen.

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