Libyen und Gaddafi

  • saintsimon
    Die Bevölkerungsdichte sagt nichts darüber aus, ob militärische von zivilen Zielen unterschieden werden können. Das ist schon aus mathematischer Sicht kein Ansatz. Sofern du die Zahl aus Wikipedia hast: Dort steht auch indirekt, dass mindestens 76,5 % der Bevölkerung in der Stadt leben.


    Dass das (Propaganda-)Thema "Chirurgische Kriegsführung" wieder salonfähig sein soll, stimmt mich nachdenklich... Bisher hat es ganz offensichtlich noch nicht funktioniert - vermutlich wird es das auch nie.

  • Spaltet doch keine Haare. Die "saubere" Kriegsführung besagt ja nicht das keine Unschuldigen getroffen werden, sondern das der Schaden an unbeteiligten Opfern geringer ist als bei herkömmlichen Aktionen. Das gehört dazu, muss in Kauf genommen werden. Sonst wäre es kein Krieg. Sollte man schon beim Namen nennen. "Befreiung" und ähnlich wohlklingenden Namen machen es nicht besser. Was notwendig ist, ist notwendig und Medizin schmeckt nun mal bitter.



    Aber, und da kann mich vielleicht einer der sich in der Region auskennt aufklären, warum ist das Engagement von z.B. Ägypten nicht da? Ein Anrainerstaat hätte eingreifen und den UN-Notruf wählen müssen.

    Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.

  • mostwanted:


    Es ist sicher keine Haarspalterei, Krieg beim Namen zu nennen. Im Gegenteil: Es ist unethisch, es nicht zu tun. Schau dir einmal den letzten Beitrag von HappyDay989 an. Er bringt zum Ausdruck, dass Ehrlichkeit gefragt ist - die Menschen sollen also auch erfahren, dass diese "Medizin" bitter ist.


    Stattdessen wird gerne suggeriert, dass nach präzisen Schlägen die Situation sich automatisch verbessert und zivile Opfer eher unwahrscheinlich sind. Das ist eben nicht der Fall und somit ist "Chirurgische Kriegsführung" ein unpassender, um das einmal ganz neutral auszudrücken, Begriff.


    Das kann (natürlich gewollt) dazu führen, dass die eigene Bevölkerung eine niedrige Hemmschwelle entwickelt, kriegerischen Plänen ihrer Regierungen zuzustimmen. Und das entspricht nicht meiner persönlichen Vorstellung von zivilisatorischem Fortschritt - auch wenn beispielsweise Interventionen manchmal ein notwendiges Übel darzustellen scheinen.


    Warum greift Ägypten nicht ein? Das könnte mit der Revolution in Zusammenhang stehen. Das Militär hat dort derzeit politische Kompetenzen bzw. Aufgaben und ggf. keine Ressourcen, militärische Operationen durchzuführen - zumal eine entsprechende libysche Reaktion mehr als wahrscheinlich wäre. Möglicherweise stehen diesem Land auch nicht die chirurgischen Instrumente des Westens zur Verfügung...

  • Ägypten hält sich nicht so raus wie ihr denkt, lt. WSJ werden die libyschen Rebellen mit Waffen von der Armee unterstützt. Ich denke auch, das ein direktes eingreifen von Ägypten schon aus dem Grund nicht gemacht wird, da ja noch keine echte Regierung im Amt ist, welche solche Entscheidungbefugnisse hat. Inwieweit Ägypten überhaupt eine technisch aktuelle Luftwaffe hat, ist dann noch die nächste Frage. Abgesehen davon lassen sich doch weder die USA noch GB die Möglichkeit entgehen, selbst ein bißchen Krieg zu spielen, oder :rolleyes:



    Gruß Kai

  • Gähn, ich sage es ja:


    Blaupause, ist immer das Gleiche. Letztlich geht es nicht um die Menschen, sondern ums Öl, Waffenverkäufe, und, im Fall Libyen wichtig: Einen neuen verlässlichen Mann an der Spitze, der genau das macht, was die westliche Welt möchte. Schön wäre es dann noch, wenn der "Neue", genauso wie Gaddafi, der extremen Koranauslegung abgeneigt wäre und die Flüchtlingsströme von der EU fernhält.


    Das im übrigen die USA und GB/FR schon Bomben werfen, alle anderen aber, zu Recht!, warten und beraten, wie es sinnvoll weitergehen kann, zeichnet die Erstgenannten nicht aus, ganz im Gegenteil.


    Blaupause halt....

    Suche: aktuell nichts


    30 positiv in der "neuen" Vertrauensliste, ??x mal positiv in der "Alten"..:-)


    Insider: Die Plaaaaaattttttttforrrrrrrrmmmmmmmmmm brennt nicht mehr, sie ist abgesoffen.....!

  • Das wiedergekäute Argument "nur ums Öl" steht im Kontrast mit dem bisherigen Zustand: "Der Westen" hatte bisher schon guter Öl-Kunde Lybiens, und die ganzen Westler die evakuiert wurden, waren auch keine Urlauber sondern Mitarbeiter westlicher (Öl-)Firmen.
    Was soll sich also ändern? Es lief doch bereits wie geschmiert. Berlusconi und Ghaddafi waren gut im Geschäft. Alles war Stabil - zu Lasten der Einheimischen.


    Würde Libyen eigentlich gar kein Öl verkaufen wollen, nur der Böse Westen zwingt sie dazu? Öl wird zu Weltmarktpreisen verkauft, egal wer an der Regierung sitzt.

    LG: V30
    Samsung: Galaxy Tab S2 LTE, A5 (2017);
    Sony: Xperia X Compact;

  • Die Kritik hat ja einiges für sich. Dennoch muss man sich die Frage stellen: Wie wäre diskutiert worden, wenn Gaddafi am Wochenende Bengasi erobert hätte? Das stand unmittelbar bevor, da sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Ich bin ziemlich sicher, dass die Klagen sehr groß gewesen wären über das Zögern des Westens, der heuchlerischerweise wie im Fall Ägypten nicht zu den die Freiheit anstrebenden Rebellen gestanden hätte.


    Ob die Sache gut ausgeht, weiß natürlich leider niemand. Sicher ist nur, dass die Amis und Briten im Moment den Versuch unternehmen, diesen Krieg nicht als eine weitere koordinierte US/UK-Intervention aussehen zu lassen und daher den Franzosen die Außendarstellung überlassen, was taktisch vermutlich richtig ist. Ferner wird man sich Mühe geben müssen, die arabischen Staaten an Bord zu behalten. Das sieht im Moment nicht einfach aus.


    Der Hinweis, hier gehe es doch nur um Öl, greift mE zu kurz, zumal Westeuropa auch vor der Rebellion Öl aus Libyen bezog.


    Ich sehe gerade: saintsimon war schneller. ;-)

    Ich will immer Herbst. Ich will immer Küste. Ich will immer Norden.

  • Die Staatseigene Libysche Firma Tamoil verkauft in Europa direkt Öl:


    "... Das Unternehmen ist hauptsächlich in Europa tätig, insbesondere in Italien. In Deutschland betreibt Tamoil mit den Marken HEM und Tamoil ein Tankstellen-Netz mit 267 Stationen.[4] Zum Unternehmen gehören zur Zeit drei Raffinerien an den Standorten Hamburg (Deutschland), Collombey (Schweiz) und Cremona (Italien). Das Unternehmen war von 2005 bis 2007 Hauptsponsor des italienischen Fußball-Rekordmeisters Juventus Turin.
    Tamoil betreibt in Europa rund 3000 Tankstellen, die meisten davon in Italien. 2007 machte das Ölunternehmen mit 1771 Beschäftigten einen Umsatz von 10,7 Mrd. Euro. Der Kraftstoff für die deutschen Tankstellen wird in einer Raffinerie in Hamburg unter dem Namen Holborn produziert. ..."


    http://de.wikipedia.org/wiki/Tamoil


    Und ja, ich zitiere Wikipedia, da hat mir niemand was vorzuschreiben.

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  • Zitat

    Original geschrieben von HappyDay989
    ...
    Ganz ehrlich: man könnte mit dem Gedanken an einen Krieg m. E. besser und ehrlicher leben, wenn man den Leuten von Anfang an reinen Wein einschenkt: in einem Krieg sterben Menschen, auch Zivilisten. ...


    Nun ja, wenn man einen Krieg ausdrücklich nur führt, um das Leben von Menschen zu schützen und das Sterben von Zivilisten zu verhindern, käme das eher nicht gut.


    Wer einen Krieg führt, um das Leben von Zivilisten zu schützen, muss natürlich offiziell darauf bestehen, dass dies auch möglich ist. ;)


    Später wird man dann behaupten, man selbst habe weniger Zivilisten umgebracht, als Gaddafi das getan hätte.


    Frankie

  • Zitat

    Original geschrieben von saintsimon
    Das wiedergekäute Argument "nur ums Öl" steht im Kontrast mit dem bisherigen Zustand: "Der Westen" hatte bisher schon guter Öl-Kunde Lybiens, und die ganzen Westler die evakuiert wurden, waren auch keine Urlauber sondern Mitarbeiter westlicher (Öl-)Firmen.
    Was soll sich also ändern? Es lief doch bereits wie geschmiert. Berlusconi und Ghaddafi waren gut im Geschäft. Alles war Stabil - zu Lasten der Einheimischen.


    Und es hätte sich auch kein Mensch darum geschert, wie viele seiner Landsleute Herr Gaddafi noch massakriert hätte, wenn diese komischen Libyer nicht auf die Idee gekommen wären, sich gegen Gaddafis Diktatur zu wehren - und das auch noch mit Waffengewalt! Nein, so etwas, die machen ja das ganze schöne Geschäft kaputt! Wo doch alles "wie geschmiert" lief! :eek:


    Und viel schlimmer: selbst wenn man Herrn Gaddafi jetzt gewähren und den Aufstand niederschlagen ließe, so wäre dadurch nicht garantiert, dass alles wieder so reibungslos und "wie geschmiert" laufen würde wie zuvor. Es würde immer wieder zu Aufständen gekommen, z. T. von anderen arabischen Staaten unterstützt, denen Herr Gaddafi schon seit langer Zeit in Dorn im Auge ist. Die Geschäfte würden ins Stocken geraten, vielleicht gäbe es auch massive Anschläge gegen die vom Westen gelieferte Ölförder- und -beförderungsanlagen. Und dabei verlöre der Westen gleich doppelt, nämlich einmal die bereits in Libyen getätigten Investitionen und zum anderen jede Form der Einflussnahme in Libyen für den Fall, dass Gaddafi doch mal durch eine Rebellion, z. B. unterstützt durch die Nachbarstaaten, gestürzt werden sollte - was man nicht ausschließen kann.


    Also hat man sich im Westen entschlossen, dass Herr Gaddafi nun durch einen neuen Machthaber ersetzt werden muss. Und bei der Ernennung eines neuen Machthabers kann man natürlich nur auf Einfluss hoffen, wenn man die Rebellen gegen den alten Machthaber unterstützt. Danach ein paar Zugeständnisse an die neuen Machthaber, das Ganze hübsch abgerundet durch die Zustimmung der arabischen Staaten, die froh sind, wenn "der Irre aus Tripolis" endlich aus dem Weg geräumt sein wird, und schon kann das Öl wieder ungehindert fließen. In der Zwischenzeit spielt man mit der Angst der Verbraucher vor einer Ölkrise, zieht die Preise hübsch nach oben an und verdeutlicht auch den Bevölkerungen im Westen, wer eigentlich in dieser Welt das Sagen hat. Und nein, das sind weder die demokratischen Regierungen des Westens noch die meistens etwas weniger demokratischen der islamischen Welt. Wetten, dass die einzigen, die aus der Libyen-Krise als die großen Gewinner hervorgehen, die Energiekonzerne sein werden! :D


    Herr Gaddafi hat natürlich inzwischen gemerkt, welches doppelte Spiel der Westen hier spielt. Er war ja schon vorher ziemlich größenwahnsinnig, aber jetzt dreht er völlig durch. Klar, er hat sich an seinen Teil der Abmachungen mit den Europäern gehalten und trotzdem wird er nun von seinen alten "Amigos" abserviert. Ich kann mir vorstellen, dass er vor seinem erzwungenen Abtritt, den die westlichen Militärmächte sicher herbeiführen können und werden noch der Infrastruktur seines Landes schwere Schäden zufügen wird, weil er den Konzernen, die hinter den westlichen Regierungen stehen, nicht so ohne weiteres das Feld überlassen werden wird.


    Auch wenn es einigen Leuten immer noch schwerfällt: nicht der Glaube an Menschenrechte, Freiheit und ähnliche hohle Phrasen regieren die Welt. Es ist das Streben nach mehr Geld und höheren Profiten, welches das Handeln in der Politik stärker bestimmt als alles andere. Denn da die Parole aller Regierungen des Westens (und auch Asiens) mittlerweile lautet "wirtschaftliches Wachstum", und sich die Wirtschaft, die wachsen soll, inzwischen nur noch im Privatbesitz befindet (es gibt nur noch wenige Staatskonzerne, außer in China), ist doch wohl klar, wessen Taschen gefüllt werden sollen. Moderne Kriege dienen vor allem der Steigerung des Shareholder Value, die Kosten legt man natürlich auf die Allgemeinheit um. ;)


    Das ist übrigens sehr witzig: wenn man solche Wahrheiten ausspricht, macht man sich damit sehr unbeliebt. Selbst Bundespräsidenten mussten bereits heftige verbale Prügel einstecken, wenn sie der Bevölkerung laut sagten, dass man zur Sicherung von Ressourcen/Rohstoffen und Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze der westlichen Konzerne auch schon mal den einen oder anderen Krieg führen muss.

    Viele Grüße und einen Happy Day


    Guy Fawkes was the only person ever to enter Parliament with honest intentions.

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