Vergangenheit in Deutschland noch immer ein Tabuthema?

  • hi,


    ich habe gestern mit kollegen über den auftritt von eva herrmann bei "kerner" diskutiert [URL=http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,510476,00.html]sieh hier[/URL]
    und wollte meinen standpunkt auch mal hier zu debatte stellen.


    letztendlich empfinde ich die meinung von eva herrmann - auch wenn sie vielleicht nicht sehr glücklich formuliert wurde - legitim. warum sollte es nicht möglich sein in deutschland unaufgeregt über mögliche positive ansätze vergangener zeiten zu diskutieren?
    bitte versteht mich nicht falsch, ich bin keineswegs rechtsaußen und durch und durch demokrat, aber sehe es manchmal nicht ein, dass die "braune keule" als eine art totschlagargument genutzt wird. immer wenn jemand durch seine äußerungen auch nur in die nähe der nazionalsozialisten gerät, wird er medial in einer art und weise dargestellt, die dem eigentlichen anliegen in der regel nicht gerecht wird. in meinen augen gehen wir deutschen viel zu aufgeregt mit diesem thema um.


    schafft es hier eine rechte partei in einen landtag, sind die debatte schier endlos. für mich ist es ein normaler umstand, dass es in einer gesellschaft einen linken und einen rechten rand gibt. sollte eine gefestigte demokratie damit nicht gelassener umgehen? in allen anderen europäischen ländern gibt es rechte parteien und dort findet keine hitzige und übertriebene debatte statt.


    sollten wir nach nun gut 60 jahren demokratie nicht auch zu einem vernünftigen selbstbewusstsein übergehen und es als "normal" hinnehmen, dass auch in einer gesellschaft rechte tendenzen ihren platz haben (müssen)?



    mfg
    sope

  • Re: Vergangenheit in Deutschland noch immer ein Tabuthema?


    Zitat

    Original geschrieben von sope
    in allen anderen europäischen ländern gibt es rechte parteien und dort findet keine hitzige und übertriebene debatte statt.
    sope



    Andere europäische Länder haben aber auch nicht 2 Weltkriege angefangen! Glaub' mir, ich bin Deiner Meinung, aber das wird in 50 Jahren immer noch ein hochsensibles Thema sein.


    MfG koewe

    Was du morgen kannst besorgen das brauchst du nicht schon heute tun!

  • Es stellt sich die Frage welche Zielansätze damals verfolgt wurden und wie man sie heute interpretiert.
    Schönes Beispiel:
    http://einestages.spiegel.de/s…b_maschine_der_nazis.html


    Wenn Heime für uneheliche Mütter eingerichtet wurden, dann nicht aus Fürsorge, sondern weil der "Führer" Kinder als Nachschub für die Wehrmacht brauchte. 600.000 Abtreibungen gebe es in Deutschland jährlich, beklagte Himmler 1940 in einem Brief an Feldmarschschall Wilhelm Keitel. Wenn man diese "Abtreibungsseuche" beende, könnten innerhalb von zwanzig Jahren "18 bis 20 Regimenter mehr marschieren".


    oder unsere Rente wäre gesichert.


    Nett, über die Kunst der Negativimplikation
    http://www.spiegel.de/kultur/g…aft/0,1518,510511,00.html

  • Re: Vergangenheit in Deutschland noch immer ein Tabuthema?


    Zitat

    Original geschrieben von sope
    letztendlich empfinde ich die meinung von eva herrmann - auch wenn sie vielleicht nicht sehr glücklich formuliert wurde - legitim. warum sollte es nicht möglich sein in deutschland unaufgeregt über mögliche positive ansätze vergangener zeiten zu diskutieren?


    Wenn man über politische Strategien für die Zukunft - auch zur Familienpolitik diskutiert, sollte man sachlich in Bezug zur heutigen Gesellschaft diskutieren.


    Es macht sachlich wenig Sinn, zum Vergleich Zeiten vor 70 Jahren heranzuziehen. Genauso wie kaum jemand sich für gesellschaftliche Vorschläge die 50er Jahre herbeizieht.


    Da es sachlich wenig Sinn macht, bleibt die Frage, wieso sich jemand auf die nationalsozialistische Gesellschaft (und nicht eine andere) beziehen muss/möchte, um eigene Vorstellungen zu veröffentlichen?


    Bleiben 2 Antwortmöglichkeiten:


    1. Man möchte bewusst den Nationalsozialismus in der Diskussion "benutzen"


    2. Man will öffentliches Interesse erregen, um z.B. Bucher zu verkaufen.


    In beiden Fällen hat das meiner Meinung nach wenig bei TT als Plattform verloren.


    Ich entscheide mich für die anderen 100 000 Threads ;).


    Gruß, Öle

    Mit Grüßen ...

  • Re: Vergangenheit in Deutschland noch immer ein Tabuthema?


    Zitat

    Original geschrieben von sope
    warum sollte es nicht möglich sein in deutschland unaufgeregt über mögliche positive ansätze vergangener zeiten zu diskutieren?


    Weil die Nationalsozialisten kein positives Familienbild hatten.


    Die Familie hatte damals keinen Wert an sich, sie wurde nur für die Ideologie instrumentalisiert. Allein daraus resultierte ihr Stellenwert.



    Ansonsten sehe ich das wie rajenske; man könnte vielleicht noch eine dritte Option nennen:


    3. Blöd und merkt's nicht.



    "Freie Rede" heißt übrigens, dass man Vieles ungestraft sagen darf, aber nicht, dass das alle toll finden müssen, was man daherschwurbelt.

    “The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed the world is ruled by little else. Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influence, are usually the slaves of some defunct economist.” (Keynes)

  • Ein sehr treffender Artikel zu der Kerner-Sendung: http://www.spiegel.de/kultur/g…aft/0,1518,510511,00.html

    Zitat

    Die Haltung gegenüber der NS-Zeit ist, allen Bemühungen um Aufklärung zum Trotz, ziemlich durchwachsen. Sie schwankt zwischen pathologischer Unschuld im Alltag, ritueller Trauerarbeit an den üblichen Feiertagen und "deutschem Sündenstolz", der sich die "Einmaligkeit" und "Einzigartigkeit" nicht nehmen lässt. Wer es zum Beispiel wagt, den Präsidenten Irans mit Hitler und seinen Plan für eine "World without Zionism" mit der "Endlösung der Judenfrage" zu vergleichen, der wird sofort abgemahnt - so dürfe man den "Holocaust" nicht verharmlosen. Es geht nämlich nicht darum, den nächsten zu verhindern, sondern den letzten in Erinnerung zu behalten.


    Dieses Verhalten betrifft aber nicht nur das Dritte Reich, selbst Vergleiche zur DDR sind ja oft mehr als kritisch.
    Andererseits muss man auch nicht bei jedem Thema irgendwelche seltsamen historischen Vergleiche bemühen.
    Wenn ich heute für den Erhalt traditioneller Werte wie Familie und Ehe plädiere, muss ich nicht unbedingt Adolf und Eva als Gastredner einladen. :rolleyes:

  • Re: Re: Vergangenheit in Deutschland noch immer ein Tabuthema?


    Zitat


    Es macht sachlich wenig Sinn, zum Vergleich Zeiten vor 70 Jahren heranzuziehen


    Wieso nicht? Muss das Rad immer neu erfunden werden? Ich denke diese Diskussion muss losgelöst geführt werden von der Aktion gestern bei Kerner.

    Zitat

    Original geschrieben von rajenske
    Ich entscheide mich für die anderen 100 000 Threads ;).


    Dann möchten wir uns bei dir bedanken und mit den anderen Usern hier weitermachen :D (In Anlehnung an die Sendung gestern).


    Ehrlich,


    ich fand die Sendung total mies. Man mag von Eva Herman halten was man möchte, aber die Art und Weise wie sie vorgeführt wurde hat mir nur eins gezeigt: Deutschland ist nicht in der Lage vernünftig und ohne jemanden an den Pranger zu stellen über eine Sache zu diskutieren. Es wurden ihr keine vernünftigen Argumente entgegengebracht es wurde lediglich ihr Zitat herangezogen und das hat sie ja wohl relativiert, wenn man es im Zusammenhang sieht. Was sie gesagt hat war absolut korrekt.


    Ich frag mich immer, wieso muss das Thema so sensibel behandelt werden? Meine Generation und die meiner Eltern auch haben mit dem Dritten Reich nichts mehr an der Mütze. Weder was die Schuld angeht, noch was aktive Teilhaberschaft angeht. Ich fühle mich nicht als schlechter Deutscher der Schuld zu begleichen hat. Um der Opfer willen mag man sensibel daran gehen. Das gleiche Problem findet sich ja momentan mit dem U21-Nationalspieler der nicht nach Israel will. Da werden dermaßen Geschütze aufgefahren, dass es schon peinlich ist. In dem Moment schäme ich mich ein Deutscher zu sein!

  • Nochmal zurück zum ursprünglichen Thema.



    Die Argumente zur Frage, ob man mit Vergleichen zur Nazizeit sparsam umgehen sollte, wurden im so genannten Historikerstreit 1986/87 ausgetauscht.


    Vielleicht erinnert sich ja noch jemand dran:


    Im Kern ging es darum, ob die Naziverbrechen einzigartig waren und ob diese *Singularität* durch historische Einordnung ("Vergleiche") relativiert würde.


    Gut zusammengefasst und interessant zu lesen:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Historikerstreit

    “The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed the world is ruled by little else. Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influence, are usually the slaves of some defunct economist.” (Keynes)

  • Zitat

    Original geschrieben von <registered>
    Gut zusammengefasst und interessant zu lesen:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Historikerstreit


    Was sagt uns das jetzt? Das auch schon damals darüber diskutiert wurde und kein eindeutiger Nenner gefunden wurde. Somit ist es doch wiederrum jedem selbst überlassen, dass als Beispiel anzuführen.


    Meiner Meinung nach relativiere ich das Dritte Reich nicht, wenn ich Beispiele aus dieser Zeit anführe.

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