Eigentlich wollte ich das Teil heute bei John im Shop für einen Kollegen abholen. Dann aber mußte ich mittags nochmal schnell nach München fahren. Der Kollege ist ein ähnlich ungeduldiger Mensch wie ich und hat sich einen Wolf telefoniert auf der Suche nach einem Shop hier im Ländle, der das Teil dahatte. Und siehe da - er wurde fündig. Bin jetzt nochmal schnell ins Büro gefahren, um mir das Teil anzuschauen.
Ich fürchte, mein Kollege mag mich jetzt nicht mehr so sehr...
Denn: IMHO ist das S55 angesichts der Spannung und Vorfreude, mit der es viele erwartet haben, eine der größten Enttäuschungen der jüngeren Handygeschichte.
Design/Verarbeitung
Sonderlich mutig waren die Designer bei Siemens nicht, lehnt sich das Gerät doch ganz massiv an den Vorgänger an. Die nahezu identische Form der Displayeinfassung oder des Lautsprechers - da hätte man sicher etwas mehr Mut zur Innovation erwarten können. Immerhin haben die Jungs das Problem des wackeligen Akkudeckels praktisch vollständig beheben können - dank der seitlichen Führungslaschen sitzt der jetzt bombenfest und läßt sich auch nicht mehr eindrücken. Auch sonst kann man über die Verarbeitung nicht meckern. Das Gehäuse fühlt sich äußerst wertig an.
Tastatur
Schwachpunkt Nummer 1: Die Tastatur. Die unterschiedlich großen Tasten mögen ja gut aussehen - aus Usability-Sicht aber sind sie eine Katastrophe. Dies gilt insbes. für die Stern- und die Rautetaste. Beide sind deutlich zu klein geraten und äußerst unangenehm zu bedienen. Ein weiteres Manko stellt die Positionierung der Hörertasten dar. Sie sind zu den Außenseiten hin abgeschrägt und zudem auch noch sehr weit außen angeordnet. Während man eine dieser Tasten drückt (betrifft als Rechtshänder insbes. die Auflegetaste), liegt das Gerät ausgesprochen unsicher in der Hand und droht einem aus selbiger zu rutschen. Ähnliches gilt auch für die bereits bemängelten Stern- und Rautetaste. Um das Gerät beim Drücken dieser Tasten noch sicher in der Hand zu halten, muß man hinten unwillkührlich umgreifen.
Das nächste Tastaturproblem ist der Druckpunkt. Die meisten Tasten haben einen deutlich hör- und fühlbaren Druckpunkt, während die 1, die 7 und die grüne Hörertaste faktisch gar keinen haben. Und bei den Tasten, wo der Druckpunkt merklich ist, macht er einen qualitativ nicht sonderlich hochwertigen Eindruck.
Die von manchen bemängelte ungleichmäßige Beleuchtung empfinde ich als weniger störend. Allerdings ist in der Tat die Reihe 7-8-9 am hellsten, während die untere Tastenreihe und die Hörertasten so gut wie kein Licht abbekommen.
Display
Auch wenn es nicht unerwartet war, so ist das Display doch die Enttäuschung schlechthin am S55. Die Qualität liegt absolut auf T68-Niveau. Absolut nicht nachvollziehen kann ich die Meinung einiger, es sähe durch irgendwelches Dithering etwas besser aus. Das T68 dithert genauso, da gibts IMHO absolut keinen Unterschied. Ich bin inzw. der Ansicht, dass ein gutes Graustufendisplay besser aussieht als diese 256-Farben-Gurke. Wenn Farbe, dann bitte richtig. Warum Siemens hier gespart hat, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Bei derart merkwürdigen Entscheidungen darf man sich dann nicht wundern, wenn man den Anschluss an den Mitbewerb, in diesem Falle ja inzw. sogar an Samsung, verliert...
Menüführung
Hier gilt sinngemäß dieselbe Kritik, die ich seinerzeit schon beim T68m angebracht habe: Ich finde es unsinnig und vor allem aufgesetzt, wenn man die Farbfähigkeiten eines Displays lediglich dazu verwendet, auf das alte Menüsystem eine Iconoberfläche zu legen. Das war schon beim T68 eine schwache Leistung, und wird durch die Siemens'sche Wiederholung keineswegs intelligenter. Nokia oder Samsung machen vor, wie man Farbdisplays richtig nutzt. Andererseits auch kein Kunststück - schließlich verwenden die Farbdisplays, die diesen Namen auch verdienen...
Als Vorteil bleibt dann zumindest bestehen, dass sich Siemens-Fans sofort zurechtfinden, denn unter der Icon-Oberfläche ist bis ins letzte Details wirklich alles beim Alten geblieben. Aber selbst hier gilt: Nokia macht vor, wie's auch anders geht. Auch beim 7210/6610 ist das Menü faktisch so wie schon immer bei Nokia, und trotzdem sieht es ordentlich aus und macht von den Farbfähigkeiten des Displays wenigstens halbwegs Gebrauch.
Features
Die Ähnlichkeiten zum T68 setzen sich fort, wenn man sich die Featureliste anschaut. GPRS, Triband, EMS, MMS, Profile, PC-Synch-Möglichkeit, Bluetooth, Infrarot - die Liste gleicht sich fast wie ein Ei dem anderen. Wo das S55 mit polyphonen Klingeltönen auftrumpft, hat das T68 mit HSCSD die Nase vorn. Wo das S55 den recht komfortablen FlexMem hat, hat das T68 eine Akku-Restlaufanzeige. Ok, dem T68 fehlt Java...
Unter dem Strich frage ich mich allerdings schon, was die Siemens-Entwickler in den letzten Monaten so getrieben haben. Ericsson hat vor über einem Jahr eine Hardwareplattform gelauncht, die praktisch dasselbe konnte wie Siemens' neues Flagschiff heute. Dass MMS später per SW-Update nachgereicht wurde, kann man getrost vernachlässigen - die Hardware ist schließlich immernoch dieselbe. Ok, man könnte auf der anderen Seite fragen, was dem S55 fehlt. Aber da braucht man solange eigentlich nicht suchen: Ein ordentliches Display steht ganz oben auf der Liste. Eine etwas überarbeitete Menüführung wäre auch nicht schlecht gewesen (die Alte ist nun wahrlich nicht unbedingt immer eine Ausgeburt an Logik und Übersichtlichkeit, da hätte es durchaus etwas room for improvement gegeben). HSCSD stünde einem S-Gerät von Siemens auch durchaus gut zu Gesicht - Nokia und SonyEricsson unterstützen diesen Standard ja ebenfalls.
Fazit
Für mich persönlich ein eher enttäuschendes Gerät. Die Verarbeitung kann insbesondere wegen der IMHO sehr schlecht geratenen Tastatur nicht wirklich überzeugen, das Display ist Standard von vor einem Jahr, und abgesehen von Java hat das Gerät eigentlich nichts, was es von seinem Hauptkonkurrenten T68i abheben würde. Wenn das das Ergebnis sein soll, welches Deutschlands Handyproduzent Nr. 1 (haben wir noch mehr? :confused: ) ein Jahr nach dem Launch des T68 abliefert, dann wundert es einen nicht wirklich, dass Siemens Marktanteile verliert. Ok, Nokia muss sich denselben Schuh anziehen - 6610, 7210 und selbst das 6110 sind sicher alles Mögliche - nur keine technischen Innovationen. Wenigstens weiß man dort aber, dass man den Kunden heute kein Gerät mehr mit einem solchen Display verkaufen kann und baut ein Vernünftiges ein, wenn man sonst schon nichts Innovatives zu bieten hat. Und dass Siemens ganz ohne Not den Anschlussstandard geändert hat (der alte Anschluss hätte problemlos ins Gerät gepasst), dürfte ebenfalls nicht unbedingt dazu beitragen, dass sich langjährige Siemensnutzer in das Gerät verlieben. Zwar ist der Anschluss nicht neu, aber beim Prepaidgerät C55 fällt sowas noch nicht weiter auf. Wenn dagegen die Leute von ihrem S45 aufs S55 migrieren wollen und nix passt mehr...
Achja, ein großes Plus gibts am Ende dann aber doch noch von mir: Die polyphonen Fähigkeiten des Gerätes sind ausgezeichnet, in etwa auf Samsung-Niveau. Nicht so gut wie beim S/// T300, aber das ist in diesem Punkt eh eine Klasse für sich. Allemal besser als die 4stimmigen Dumpfdödler von Nokia.
PS: Mein Kollege meine gerade, er sagt mir heute abend nochmal Bescheid, ob ich das Gerät mal hier ins Biete stellen soll... Ich denke, ich würde es tun, wenn es meins wäre...