Leica M6
Einführung
Gewiß kennen die meisten Fotografen den Namen "Leica". Vor allem die Profis älteren Baujahres haben vielleicht sogar noch die Zeiten erlebt als Leica M und Nikon F nahezu gleiche Marktanteile hatten. Das hat sich inzwischen natürlich komplett geändert, denn während Nikon seine Kameras immer auf dem Stand der Technik hielt, ist die Leica M technisch seit 1952 nahezu unverändert geblieben.
Wann und wie ich den Namen "Leica" gehört habe weiß ich nicht mehr, jedenfalls stand die "M" für mich immer als das nonplusultra der Fotografie. Um so erstaunter war ich, als ich erfuhr daß die M weder Autofokus noch irgendwelche sonstigen Automatiken hat (außer M7) und daß blitzen mit der M wohl eine ziemliche Katastrophe sein mußte.
Trotzdem konnte ich mir nach längerem sparen vor kurzem den Traum erfüllen. Für insgesamt 1400 Euro bekam ich eine wenig gebrauchte Leica M6 zusammen mit einem Summilux 1:1,4/ 50 mm Objektiv. Ironischerweise ist das fast genau der Betrag, den ich damals für mein Nikon D70 Kit bezahlt hatte (1399 EUR).
Äußerlichkeiten
Da ich bereits mit der M vertraut war, ergaben sich keine Neuigkeiten. Was mich dennoch beeindruckte war die phänomenale Verarbeitungsqualität. Fast alles an der M6 ist schwarz verchromtes Metall. Plastik gibt es eigentlich nur am Rahmenwählhebel, an der Filmmerkscheibe und am Schnellschalthebel. Dafür ist die M auch richtig schwer. Mit etwa 560 Gramm alleine für den Body ist sie nur 35 Gramm leichter als die D70! Subjektiv kommt sie einem eher noch schwerer vor, weil sie deutlich kleiner ist und keinen angenehmen Handgriff hat wie die D70 (jedenfalls nicht serienmäßig).
Auf der Vorderseite über dem Objektiv prangt der rote Leica-Punkt, den man in manchen Gegenden besser bedecken sollte, wenn man sich seiner Kamera länger freuen möchte. Ansonsten kommt die Kamera äußerlich sehr dezent daher. Keine Displays, keine tausend Schalter und Hebelchen. Alles scheint auf das wesentliche reduziert. Auf die Frage was er an der M verbessern würde hat ein führender Industriedesigner mal gesagt "Um Gottes Willen! Bloß nichts verändern." Diese Aussage spricht Bände - auch in technischer Hinsicht.
Technisches
Die M6 ist eine Meßsucherkamera. Das sieht man schon auf den ersten Blick, denn ein Prismengehäuse sucht man vergebens. Das Scharfstellen erfolgt manuell indem man im Sucher zwei kleine Halbbilder zur Deckung bringt. Das setzt natürlich voraus daß der Meßsucher sauber justiert ist und der Benutzer noch über gutes Augenlicht verfügt. Der große Vorteil ist natürlich daß man unabhängig von der Lichtstärke in einem gleich hellen Sucher scharfstellen kann. Andererseits dürfte es aber unter solchen Umständen ohnehin zu dunkel zum Fotografieren aus der Hand sein. Ein weiterer Unterschied zu einer SLR besteht darin daß man eine konstante Suchervergrößerung von 0,72 (Standard) oder auf Wunsch 0,58 (für Weitwinkel) bzw., (0,85 für Tele) hat, und für die jeweilige Brennweite Leuchtrahmen eingespielt werden. Der Vorteil liegt für viele darin zu sehen was außerhalb des Bildes liegt. Das erleichtert die Komposition und gerade bei den 0,85 Suchern kann man problemlos beide Augen beim Fotografieren offen lassen. Der Nachteil liegt darin daß alle Brennweiten jenseits von 75mm im Sucher schwierig zu beurteilen sind, weil die Rahmen schon sehr klein werden. Bei 135 ist denn auch Schluß, wobei diese Brennweite bei Leica Fotografen sowieso eher unbeliebt ist. Die Stärke liegt also eindeutig bei Weitwinkelobjektiven.
Die große Neuerung der M6 war eine TTL-Belichtungsmessung, die im Gegensatz zur M5 klein genug ist, um in einem "normalen" Leica M Gehäuse Platz zu haben. Mit der etwas extravaganten M5 wäre Leica in den siebziger Jahren schon mal beinahe Pleite gegangen, weil die Kundschaft eben eine "schöne" Kamera wollte. Ich persönlich finde die M5 eigentlich gar nicht so schlimm. Der Belichtungsmesser macht zugleich Leicameter überflüssig, der bei früheren Leica Modellen auf den Zubehörschuh aufgesteckt werden konnte und mit dem Zeitenrad gekoppelt wurde. Eine sehr klobige und auch etwas unpraktische Lösung, aber jedenfalls besser als ein externer Belichtungsmesser.
In der Leica M gibt es keine Motoren, so daß man den Film ganz nach der alten Schule mit einem Schnellschalthebel transportiert und nach getaner Arbeit mit einer Rückspulkurbel wieder in die Patrone zurückbefördert. Apropos Film: Der Film wird wie bei der allerersten Leica (1924) von unten eingelegt! Dazu wird der Bodendeckel abgenommen und der Film auf ca. 10 cm ausgezogen. Der Anschnitt wird dann um eine Art Dreizack aufgewickelt. Die Lage des Films kann durch öffnen einer Klappe in der Rückwand kontrolliert werden. Das klingt zwar umständlich, ist es aber eigentlich nicht. Kein Vergleich mit den ganz alten Schraubleicas, wo man den Film erst anschneiden (der konfektionierte Anschnitt ist zu kurz), auf eine Aufwickelspule stecken und schließlich in die Kamera fieseln muß.
Der Verschluß ist ebenfalls seit den Anfängen praktisch nicht verändert worden und besteht nach wie vor aus einem horizontal (!) ablaufenden Verschluß aus zwei Gummitüchern. Erst vor wenigen Jahren wurde das Material der Verschlußtücher geändert, aber auch nur, weil es die alten Gummitücher nicht mehr gab! Heute verwenden eigentlich alle Hersteller Verschlüsse mit Metallamellen, Kohlefaser oder einer Mischung aus beidem. Das hat den Vorteil daß man den Verschluß weitaus schneller ablaufen lassen (1/12000s bei der Minolta Dynax 9!) und entsprechend kurze Blitzsynchronisationszeiten realisieren kann (bis zu 1/500s). Die Leica M ist da wesentlich gemütlicher mit maximal 1/1000s Verschlußzeit und 1/50s Blitzsynchronisation. Mit den alten Blitzbirnen/ -würfeln etc. konnte man unter bestimmten Umständen jedoch bis zu 1/250s erreichen. Kurzum: Man sollte es vergessen mit der Leica zu blitzen. Da ist eine halbwegs moderne SLR haushoch überlegen.
Dafür ist der Verschlußablauf sehr weich und extrem leise, eigentlich nur ein stark gedämpftes Schnalzen. Eine Canon Ixus ist jedoch leiser, wenn man den künstlichen Ton abschaltet. Eine SLR oder gar eine Hasselblad kommt einem im Vergleich aber vor wie eine Kanone.
Fotografieren
Am Anfang ist es schon etwas ungewohnt mit den Leuchtrahmen im Sucher zu arbeiten und gerade im Nahbereich passiert es recht oft daß man wegen der Parallaxenverschiebung nicht genau den Bildausschnitt auf den Film bannt, den man im Sucher sieht. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an diesen Nachteil und er fällt nicht mehr ganz so schlimm ins Gewicht. Ab 35mm ragt zudem das Objektiv ins Sucherbild, wobei man fairerweise sagen muß daß das Summilux 1,4/50 zu den größeren 50mm Optiken gehört. Mit einem Summicron oder einem Elmar dürfte das eher nicht passieren. Andererseits braucht man bei einem 50mm Objektiv genau einen Rahmen, nämlich den 50er und der wird nicht beeinträchtigt.
Der Belichtungsmesser der M6 funktioniert wie eine "Lichtwaage". Zwei kleine Dreiecke zeigen einem, ob man über- oder unterbelichtet. Dabei zeigen sie in die Richtung, in die man den Blendenring drehen muß, um zu einer korrekten Belichtung zu kommen. Dumm nur daß man bei der Leica M der Blendenring nach rechts drehen muß, um "mehr Licht" zu bekommen, während man zum gleichen Zweck das Zeitenrad linksherum dreht. Deshalb wurde beim Nachfolger M6 TTL die Drehrichtung des Zeitenrades geändert. Das hat aber wieder die Puristen auf den Plan gerufen...
Oft hört man daß die Leica anderen Kameras deshalb überlegen sei, weil sich die Leute von ihr nicht so sehr "angegriffen" fühlen wie mit einer Monster-SLR mit dickem AF-S Objektiv und Gegenlichtblende. Das ist jedoch nur zum Teil wahr. Eine M6 sieht einer Sucherkamera ähnlicher als einer Profi-SLR. Setzt man aber eine Gegenlichtblende auf, so ist's auch bei der M6 mit der Unschuld vorbei. Aber man muß ja nicht.
Wo die Leica zur Hochform aufläuft, ist aber das Fotografieren von Menschen. Ich kann nicht genau sagen woran es liegt, aber mit der Leica gelingen mir überproportional viele gute Aufnahmen. Vielleicht denkt man bei einer vollständig manuellen Kamera mehr nach? Vielleicht nehmen einen die Leute mit so einem Knipsdings weniger Ernst? Ich weiß es nicht, aber es ist im Grunde auch egal.
Leica M6 VS. Nikon D70
Die Leica M6 ist viel besser als die D70. Die D70 ist viel besser als die M6. Das ist, kurz gesagt, das Ergebnis dieses Vergleichs. Man könnte es auch so formulieren: Mir schmecken Birnen besser als Äpfel und anderen schmecken Äpfel besser als Birnen.
Die M6 ist ein Nischenprodukt, das viele gerne haben wollen, aber nur die wenigsten wirklich brauchen. Sie kann nur innerhalb eines beschränkten Brennweitenbereichs (28-90) sinnvoll genutzt werden und ist für schnelle Schnappschüsse und Actionfotografie wenig geeignet. Dafür kann man mit ihr vorzüglich Menschen, Stimmungen und bisweilen auch Abstraktes fotografieren. Sie kann auch ohne Batterien mit allen Zeiten fotografieren. Dafür ist sie eben etwas komplizierter.
Die D70 ist ein Alleskönner. Sie ist schnell, außerordentlich flexibel und kann alles was die Leica auch kann. Nur ist es eine andere Art des Fotografierens. Man mag es Tunnelblick nennen oder exakte Sucherübereinstimmung. Es ist jedenfalls anders und deshalb eigentlich nicht vergleichbar. Beide Systeme haben ihre Daseinsberechtigung. Universeller ist, und daran gibt es keinen Zweifel, die Nikon D70, sowie fast alle heutigen Spiegelreflexsysteme.
Mythos
Über kaum eine andere Kamera gibt es mehr Mythen, als um die Leica M. Bisweilen neigen Leica-M Fotografen zu einer ungesunden Überheblichkeit darüber das "beste" System der Welt zu besitzen so daß mancher darüber das Fotografieren vergißt. Fakt ist: Die Leica Objektive sind verdammt gut. Ebenso wahr ist aber auch daß sie extrem teuer sind und daß der Wettbewerb natürlich auch nicht schläft. Ein zwanzig Jahre altes Leica-Objektiv mag besser verarbeitet sein als viele heutige Objektive. Es mag auch "schöner" sein. Aber ob es besser ist, wage ich entschieden zu bezweifeln, ganz abgesehen davon daß man "besser" kaum fassen kann. Wenn man eine Reportage im Stil der Fünfziger Jahre anfertigen will ist sicher ein zeitgemäßes Objektiv "besser". Ansonsten hat sich gerade in den letzten Jahren einiges getan.
Das nächste, was viele MTF-Fetischisten vergessen ist, daß das MTF unter Laborbedingungen angefertigt wird. In der Praxis gibt es kaum einen Unterschied zwischen einem mittelguten und einem superguten Objektiv, es sei denn man fotografiert Dias mit ASA25 Film und einem Studiostativ. Was man wirklich merkt ist, ob man eine Blende mehr oder weniger zur Verfügung hat. Ein Objektiv wirklich auszureizen, dürften nur Profis schaffen und selbst die machen das auch nicht ständig.
Ähnliches gilt für die Kameras selbst. Es gibt keine "beste Kamera der Welt", auch wenn uns das manch stolzer Besitzer einer M6 (2,3,4,5,7,P) weismachen will. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Leica M ist eine hochspezialisierte Kamera, die innerhalb ihres Anwendungsbereichs einfach genial ist, aber abseits von 28-90mm einfach nicht mehr konkurrenzfähig ist. Ab 135mm braucht man den "Visoflex", den es nur noch gebraucht gibt und der die M im Prinzip in eine Spiegelreflexkamera auf dem Stand von 1950 verwandelt. Da ist es sogar billiger sich eine gebrauchte Leica R mitsamt Objektiven zu holen!
Ein weiterer Mythos ist die angebliche Wertbeständigkeit oder gar Wertsteigerung über die Jahre. Das ist aber so eigentlich auch kaum zu halten, denn die "normalen" Modelle unterliegen selbstverständlich einem gewissen Wertverfall. Er ist gewiß nicht so extrem wie bei Digitalkameras oder den meisten anderen Kamerasystemen, aber er ist da. Während die M6 neu über 3000 Mark kostete, bekommt man sie heute ohne besonderes Glück für 800-900 Euro. Der Neupreis für die aktuelle M7 und MP (=M6 in neuen Kleidern) liegt bei etwa 3300€. Den Rest kann man sich ausrechnen. Eine Wertsteigerung erreicht man nur mit besonders seltenen Modellen wie einer schwarzen M3 oder gar einer schwarze MP samt Leicavit. Für die Rente taugt die Leica jedenfalls nicht.
Was bleibt also? Eine Kamera, die in Deutschland mit höchster Präzision in Handarbeit für die Ewigkeit gebaut wird. Das letzte Relikt der deutschen Kameraindustrie. Ein völlig überteuertes Museumsstück. Ein Industrieklassiker. Ein hoch spezielles Werkzeug für widrigste Bedingungen. Ich habe mal die Zahl von 400'000 Auslösungen gelesen und wenn ich mir anschaue daß meine alten Leicas aus 1928 bzw. 1938 immer noch perfekt funktionieren, neige ich dazu dieser Zahl zu glauben.
Ich mag meine Leica jedenfalls trotz ihrer Unzulänglichkeiten. Das ist sicherlich kein Grund aus jeder Systemschwäche eine Stärke hervorzujubeln, wie es mancher tut, aber tragisch ist es sicherlich auch nicht. Sie ist eine kompakte und robuste Kamera, die mit dem richtigen Fotografen hinter dem Sucher sehr gute Bilder machen kann und darauf kommt es am Ende schließlich an.