Nachdem sich unser neuer Vertriebskollege als Mietwagen unbedingt einen VW Golf aussuchen musste, konnte ich heute Morgen bei der Weihnachtslangeweile im Büro nicht widerstehen und habe mir den Schlüssel für eine Probefahrt mit der in Stahl und Plastik gemeisselten Langeweile des deutschen Automobilbaus geschnappt.
Die Eckdaten:
- VW Golf 5 TDI Comfortline
- 1.9 Liter, 105 PS
- Silbermetallic
- 195er Ganzjahresreifen
- 5 Türen
Der erste Eindruck:
Von hinten: Hoppla - wie hoch... und rund...! Etwas gewöhnungsbedürftig dieser Birnenhintern. Angenehmer fällt da die Seiten- und Frontansicht aus. Die Front hat sogar was, ist recht ansprechend geworden.
Flott den Knopf auf der Fernbedienung gedrückt und ich werde zweimal blinzelnd begrüßt. So gehört sich das...
Hintere Tür auf, Jacke auf die dunkelgrauen Polster im "Naja"-Design geworfen und die Tür wieder zu. Und nochmal auf und nochmal zu. Satt. Klingt schonmal gut und recht solide.
Dann versuche ich einzusteigen...
Der Innenraum:
...prompt seitlich zwischen Lenkrad und Sitz eingeklemmt. Ich hätte bedenken sollen, dass mein Kollege 15cm kleiner ist als ich. Also unter stöhnen nochmal rausgezwängt und erstmal den Sitz runter"geratscht" und nach hinten geschoben. Diesmal liege ich im Auto, da nicht nur der Sitz nach unten geht, sondern auch die hintere Sitzfläche samt Lehne. Also wieder in die Aufrechte gekurbelt.
Das isser also. Der Golf. Von innen. Aha.
Das Lenkrad wirkt irgendwie deplatziert und der Pralltopf ist so zierlich wie in Prä-Airbagnalen Zeiten. Dazu ist mir der Lederlose Kunststofflenkkranz etwas zu zierlich und wenig griffig. Nunja, erstmal Motor anlassen und - schwupp - abgewürgt. Noch so einer, der zum Parken den ersten Gang einlegt... Jetzt bin ich etwas beleidigt und kann mich dem Innenraum weiter widmen. Dunkelgraues Plastik, wohin man schaut. Die Zierleisten im Carbon-Stil sind nett gemacht und lockern die triste Landschaft wenigstens etwas auf. Das Radio im Doppel-DIN-Design ist mit dem blau beleuchteten Display nett anzusehen. Richtig hübsch ist dagegen die Regelung der Klimaautomatik. Hat was - das erste "ahh" im Golf...
Die Materialanmutung ist so lala. Nicht schlecht aber auch nichts besonderes. In meinem Mondeo wirken die Matierialien um einiges hochwertiger. Besonders der grobporige Kunststoff der Armaturenbrettoberseite wirkt im Golf etwas billig.
Sitzen kann man gut im Golf, allerdings ist mir die Sitzposition zu hoch und alles wirkt etwas sehr beengt. Ein wohliges Raumgefühl will mit meinen etwas breiteren 1,87m Körpergröße nicht aufkommen.
Nun denn - die Scham über den abgewürgten Motor ist verflogen und es kann losgehen...
Motor / Fahrleistungen / Fahrwerk:
Einmal am Schlüssel gedreht und der Diesel läuft. Und nagelt. Und brummt. Yes - das ist TDI live. Ein erstes geht mir durch den Kopf. Versöhnlich gestimmt werde ich dann wieder durch die angenehme Kupplung und das erstklassige 6-Gang Getriebe. Das kann VW seit jeher recht gut.
Angenehm fällt auf, dass fast keine Wind- und Abrollgeräusche wahrzunehmen sind, das kann aber auch daran liegen, dass der Motor einfach zu präsent ist und auch nach 10 Minuten noch nagelt. Und brummt. Man vergisst zu keinem Zeitpunkt, dass man in einem Diesel sitzt. Dagegen ist die Commonrail-Maschine im Mondeo ein Leisetreter.
Also rauf auf die Autobahn und durchtreten. Immerwieder beeindruckend, wie ein relativ schwacher TDI zwischen 2.000 und 3.000 Touren abgeht. Bis 100 km/h hätte ich mit dem 130 PS Mondeo Mühe dranzubleiben. Ab 3.000 u/min merkt man dann richtig, wie der Golf nur noch ausatmet - das wars. Ab 160 km/h tut sich bei durchgetretenem Gaspedal im 6. Gang nicht mehr viel. Mit Mühe und Not bekomme ich ihn auf 185 km/h, nach etwas mehr Überredungskünsten liegen 190 km/h auf dem Tacho an. OK - das Auto ist erst 4.000 km gelaufen, das sollte noch etwas besser werden.
Das Fahrwerk ist idiotensicher, wird meiner Meinung nach aber zu hoch gelobt. Da liegt der Mondeo doch noch ein ganzes Stück souveräner auf der Strasse, allerdings ist das Fahrwerk um Welten besser als die Sänfte Lancia Lybra. Die Vorderräder bekommt man recht leicht zum durchdrehen, in schnellen Kuven hatte ich recht bald das Gefühl, dass der Hintern "kommt", ist aber doch zu keiner Zeit eingetreten. ESP sei Dank.
Die Verarbeitung...:
...ist - zumindest in diesem Golf - über jegliche Kritik erhaben. Nichts knarzt, klappert, knirscht oder quietscht, alle Schalter lassen sich "satt" bedienen, alles ist sehr solide. So muss es sein, so bin ich es auch im Mondeo gewöhnt.
Highlight:
Die Öffnung des Kofferraums über das VW-Emblem. An der Oberseite nach hinten drücken und von unten dann nach oben ziehen. Feine Sache, das Emblem fährt nach dem Loslassen schön gedämpft wieder in die Ursprungsposition.
Die Langeweile...:
...ist allgegenwärtig. Der Innenraum recht trist, alles grau in grau, das Muster der Sitzbezüge so lala, das Aussendesign von hinten lächerlich, von der Seite ganz nett und von vorne recht ansehnlich. Alles 0815 eben...
Fazit:
Nein. Das ist definitiv kein Auto für mich. Zu laut, zu langweilig, zu klein, zu teuer. Viel mehr gibt's dazu eigentlich nicht zu sagen. Dass dieser Golf TDI weit über 20.000.- € kosten soll, entlockt mir nur ein Kopfschütteln.
Die Masse sieht das anders. Der Golf ist immernoch Bestseller in Deutschland und spiegelt dabei die typische deutsche Mentalität wieder: Langweilig, zurückhaltend, solide, "fleissig" und mitunter etwas laut.
Im Mondeo habe ich mich dann wieder zuhause gefühlt. Alle positiven Tugenden des Golf, dazu groß, leise und schöner designt. Das schreit fast nach einem Testbericht über den Mondeo. Den gibt's aber erst, wenn er mal wieder gewaschen wurde, die Sonne scheint und man vorzeigbare Fotos machen kann.
Und jetzt nehmt mich bitte nicht auseinander. Ich habe versucht, Objektivität walten zu lassen, kann aber nicht verbergen, dass ich eben nicht zu den typischen Golf- oder VW-Fahrern gehöre.
Stefan